Familienpolitik
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten. Diesmal aus dem Bundeskanzleramt, wo der Babyboom der Regierung seine Fortsetzung findet. Das ist schön, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Politik immer noch alles andere als ein familienfreundliches Geschäft ist. Jeder Gemeindemandatar, jeder Bürgermeister (und vor allem die wenigen Bürgermeisterinnen) können über die Belastung für ihr Umfeld und ihre Familie berichten, über die vielen Abendtermine, die Wochenenden mit offiziellen Auftritten, die dauernde Beobachtung bis ins Private und gleichzeitige öffentliche Kommentierung in (vermeintlich sozialen) Medien.
Besonders hart ist das politische Geschäft aber für Frauen, mit und ohne Kinder. Ihnen wird nach wie vor nicht nur die Hälfte von Vermögen und Einkommen verwehrt, sondern auch die Hälfte der Macht. Wenn sie sich an die Spitze einer Partei oder gar einer Regierung wagen, wird es ihnen doppelt schwergemacht. Da beginnen sie etwa wie Angela Merkel als „Kohls Mädchen“. Bei der finnischen Regierungschefin Sanna Marin fand ein Foto international mehr Beachtung als ihre Politik. US-Vizepräsidentin Kamala Harris soll sich um die zentralen Themen Zuwanderung und Wahlrechtsreform kümmern. Doch statt darin eine Bewährungsprobe der zukünftig vielleicht mächtigsten Frau der Welt zu sehen, gilt jeder Ausrutscher als Beweis ihrer Unfähigkeit. Ähnlich geht es der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, deren Partei allerdings auch zu naiv war. Selbst wenn eine Frau nominiert wird, müssen ihr Vorleben und ihre Eignung gründlich abgeklopft werden. Vergleichbares widerfährt Pamela Rendi-Wagner, die trotzig und machtlos zusehen muss, wie andere auf ihr Ende warten (und bei vorgezogenen Neuwahlen dies aktiv herbeiführen werden).
Frauen wird nicht nur die Hälfte von Vermögen und Einkommen verwehrt, sondern auch die Hälfte der Macht.
Es ist eine Mischung aus höheren Ansprüchen und niedrigerem Zutrauen. Frauen werden weniger Lernchancen auf dem glatten politischen Parkett zugestanden. Sie schultern die Last, für die Hälfte der Menschheit einstehen zu müssen, ohne sich selbst an Vorbildern orientieren zu können. Zusätzlich gilt: Je weiblicher, desto ungeeigneter. Je mächtiger, desto unweiblicher. Eine Falle für alle Frauen neben der immer noch ungerechten Verteilung von (familiärer) Betreuungsarbeit, vom Haus über die Kinder bis zu den Alten.
Frauen sind keine besseren Menschen und schon gar keine besseren Politiker. Aber sie haben einen anderen Blick auf die Dinge, weil ihr Leben von anderen Umständen bestimmt ist. Für gute Politik braucht es diese Perspektive. So wie auch junge Väter neue Einsichten gewinnen, wenn sie die Steuerung über einen Teil ihres Lebens verlieren. Wir gratulieren!
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