Nina Tomaselli zieht nach U-Ausschuss Bilanz: “Es war ein türkis-blauer Tango”

Politik / 17.07.2021 • 05:00 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Nina Tomaselli zieht nach U-Ausschuss Bilanz: "Es war ein türkis-blauer Tango"
„Sebastian Kurz erklärte, er möchte zur Aufklärung beitragen. Davon haben wir nichts gesehen”, erklärt Tomaselli. VN

Nina Tomaselli zieht Bilanz zum Ibiza-U-Ausschuss: Vieles erreicht, vieles noch offen.

Wien ÖVP und FPÖ tanzten einen Tango und nährten ein System mit Privatisierungsplänen und Politik für Superreiche, meint Nina Tomaselli, Grünen-Fraktionsführerin im Ibiza-U-Ausschuss. Im VN-Gespräch erzählt sie von neuen Erkenntnissen durch die jüngsten Akten aus dem Finanzressort und was sie den Kanzler noch gefragt hätte.

Wie würde Österreich aussehen, hätte es das Ibiza-Video nicht gegeben?

Mutmaßlich würde das türkis-blaue System noch immer herrschen. Vieles davon, was wir erst durch den Ibiza-U-Ausschuss, die Akteneinsicht und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft herausgefunden haben, wäre jetzt vermutlich umgesetzt und nie öffentlich aufgetaucht: Da geht es unter anderem um die geplante Privatisierung des Bundesrechenzentrums und der staatlichen Wohnungen oder den Plan, das Stiftungsrecht so anzupassen, dass Superreiche noch reicher werden. Das sind alles Dinge, die nie in einem Regierungsprogramm zu finden waren.

Haben Sie die Erkenntnisse des U-Ausschusses überrascht oder waren sie erwartbar?

Der Ibiza-U-Ausschuss hat alle Erwartungen übertroffen, nämlich insofern, dass eine Fülle an Belegen gefunden wurde, wie Türkis-Blau agierte. In ihrem Fokus standen nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung, sondern die wohlhabenden Freunde, Spenderinnen und Spender.

Wie viel davon war türkis und wie viel war blau?

Um einen Tango zu tanzen, braucht es immer zwei. Deshalb bezeichnen wir das Ganze als türkis-blaues politisches System. Dieses wurde von beiden Seiten genährt.

Poppte was von diesem System auch in der türkis-grünen Koalition schon auf? Oder sind die Türkisen nun anders?

Türkis bleibt türkis. Aber die Grünen sind nicht in der Regierung, um einen Erziehungsauftrag zu erfüllen, sondern um Politik zu machen und unsere Projekte umzusetzen.

War die ursprüngliche Aktenlieferung von Finanzminister Gernot Blümel vollständig oder nicht?

Wir haben vergangenen Freitag die neue Lieferung von der Richterin bekommen und tatsächlich schon einige bislang unbekannte E-Mails und Dokumente gefunden. Die Frage, ob sie bereits im ersten Anlauf geliefert wurden, lässt sich letztendlich nicht mit Sicherheit beantworten. Die Richterin hat alles digital geliefert, Gernot Blümel damals  ärgerlicherweise in Papierform und nicht einmal in chronologischer Reihenfolge. Ob er vollständig geliefert hat, kann am Ende also auch nur er beantworten.

Es wird also eine Anfrage an ihn geben?

Ich nehme an, das wird der Mittelpunkt der Oppositionsanfragen bei der Sondersitzung am Montag sein.

Brachte die neue Lieferung auch neue Erkenntnisse?

Ja. Wir haben Mails und Dateien gefunden, die es notwendig machen, dass wir die eine oder andere Geschichte in unserem Abschlussbericht anpassen müssen.

Worum geht es da?

Vor allem um geheime Privatisierungspläne, die ÖBAG und Begünstigungen für Stiftungsmillionäre. Die Akten bieten jedenfalls neuen Inhalt, der für den Untersuchungsgegenstand relevant ist.

Sebastian Kurz war die letzte Auskunftsperson. Aufgrund seiner langen Antworten kamen Sie aber nicht einmal mehr dazu, ihm Fragen zu stellen. Was hätten Sie noch gerne gefragt?

Mein Fragekonzept war 40 Seiten lang. Mich hätte vor allem noch vieles zum mutmaßlichen Geheimnisverrat bei der Hausdurchsuchung rund um den früheren Finanzminister Hartwig Löger interessiert, ebenso zur Causa Inserate. Stichwort: „Kurz kann jetzt Geld scheißen“ (Zitat: Thomas Schmid) und ob es einen Novomatic-ÖVP-Deal gegeben hat.

Haben Sie damit gerechnet, dass die Befragungen des Kanzlers von Erinnerungslücken und sehr langen Monologen geprägt sind?

Das war eine Brüskierung des Parlaments und es hat mich insofern überrascht, weil Sebastian Kurz öffentlich immer wieder betont hat, dass er gegenüber den Kontrollinstitutionen der Justiz sowie des Parlaments Wertschätzung empfindet und er zur Aufklärung beitragen möchte. Davon haben wir nichts gesehen.

Lässt man sich da als Koalitionspartner zu viel gefallen?

Niemand von uns hat sich jemals ein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum ging, zum Verhalten der ÖVP im U-Ausschuss oder gegenüber der Justiz Stellung zu beziehen. Dieses war respektlos und durchgehend zu kritisieren.

Sigrid Maurer meinte, man werde keine Koalition wegen einer U-Ausschuss-Verlängerung von drei Monaten aufgeben. Sind noch ausreichend Fragen offen, um eine Neuauflage zu starten?

Ja. Die neue Aktenlieferung hat das zusätzlich intensiviert. Es gibt auch Themen, die derzeit nicht vom aktuellen Untersuchungsstand umfasst sind und bei denen man durchaus hinschauen sollte. Stichwort: Wirecard. Was die Opposition letztendlich macht, liegt aber bei ihr. Theoretisch könnte sie am 23. September einen neuen U-Ausschuss einberufen, das ist nur ein Tag nach Ende von diesem. Ich würde das begrüßen.

Für die Grünen gibt es aus Koalitionsgründen hier wenig Spielraum?

Das U-Ausschuss-Recht ist ein Minderheitenrecht, und der Ibiza-U-Ausschuss hat gezeigt, wie schlagkräftig dieses ist.

Wird es eine U-Ausschuss-Reform geben?

Die Reformbestrebungen des U-Ausschusses kommen vor allem von der ÖVP. Sie sind da wenig glaubwürdig. Es erinnert eher an das Motto: Wenn mir das Spiel nicht gefällt, dann ändere ich die Regeln. Meiner Meinung nach hat sich das Minderheitenrecht so, wie es ist, bewährt. Der einzige Wermutstropfen ist, dass es keine Live-Übertragung gibt. Das würden wir Grünen gerne ändern.

Sie halten es für ausgeschlossen, die Live-Übertragung mit der ÖVP zustande zu bringen?

Die ÖVP hat kein Interesse an einer Reform, die den U-Ausschuss als parlamentarisches Instrument stärken wird. Das sieht man an den obskuren Ideen, die sie hatte: Abschaffung der Wahrheitspflicht für die Auskunftsperson, Einführung der Wahrheitspflicht für die Fragesteller, Befragung nur durch Richter oder nur noch schriftlich. All das wird es mit uns Grünen nicht geben.

Am 22. September ist der U-Ausschuss offiziell zu Ende. Dann werden die Akten geschreddert. Muss das sein?

Auch der neue U-Ausschuss sollte Zugang zu den alten Akten bekommen. Da gibt es mehrere juristische Lösungen. Man muss kreativ sein, aber ich bin optimistisch, dass sich da ein Weg finden wird. Die vielen Erkenntnisse die wir gewonnen haben, wird uns jedenfalls niemand nehmen können.

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