Chaos und Entsetzen nach dem Triumph der Taliban
Am Kabuler Flughafen spielen sich dramatische Szenen ab.
kabul Nach der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan versuchen westliche Mächte fieberhaft, ihre Staatsbürger und ehemaligen Ortskräfte aus der Hauptstadt Kabul auszufliegen. Am Flughafen spielten sich chaotische Szenen ab, teilweise wurde das Rollfeld von panischen Menschen mit dem Ziel gestürmt, einen Platz in einer Maschine zu ergattern. Dabei kamen nach Augenzeugenberichten mindestens fünf Menschen ums Leben.
US-Soldaten feuerten vereinzelt Warnschüsse ab. Die USA setzten zunächst alle Evakuierungsflüge aus. Sie könnten erst wieder heute, am Dienstag, fortgesetzt werden, wenn Ordnung und Sicherheit hergestellt sei, sagte US-Präsident Joe Bidens stellvertretender nationaler Sicherheitsberater Jon Finer. Hunderte oder vielleicht auch Tausende Menschen hatten sich zum Flughafen aufgemacht, um aus dem Land zu kommen. Für Entsetzen sorgten in Kabul insbesondere Aufnahmen, die zeigen sollen, wie Menschen aus großer Höhe aus einem Militärflugzeug fallen. Es wurde gemutmaßt, dass sie sich im Fahrwerk der Maschine versteckt hatten oder sich am Flieger festhielten. Diese Angaben konnten bisher nicht unabhängig verifiziert werden.
Die USA, Deutschland, Frankreich und andere Länder hatten Militärmaschinen geschickt, um ihre Leute auszufliegen. Minister, Regierungsbeamte und andere Zivilisten warteten verzweifelt auf Flüge ins Ausland.
Polizeistationen besetzt
Den Taliban war es nach dem Abzug der ausländischen Truppen in rasantem Tempo gelungen, praktisch alle Provinzhauptstädte einzunehmen – viele kampflos. Am Sonntag rückten sie in Kabul ein. In den Straßen der Hauptstadt war es zu Wochenbeginn ruhig. Geschäfte und Cafés blieben geschlossen. Taliban-Kämpfer besetzten Polizeistationen und andere Behördengebäude. Sie begannen damit, Kontrollposten zu errichten und Waffen von Zivilisten einzusammeln. Derzeit sollen Gespräche zwischen Politikern und Vertretern der Islamisten laufen, wie ein Sprecher des früheren Präsidenten Hamid Karsai mitteilte.
Viele Afghanen zeigten in sozialen Medien offen ihre große Wut über den geflüchteten aktuellen Präsidenten Ashraf Ghani. Dieser erklärte, er habe das Land verlassen, um Blutvergießen zu vermeiden. Wie Al Jazeera berichtete, war Ghani auf den Weg in die usbekische Hauptstadt Taschkent.
Es wird befürchtet, dass die Taliban nach der Rückkehr an die Macht erneut eine sehr strenge Auslegung des islamischen Rechts durchsetzen könnten. Die Islamisten hatten Afghanistan bereits von 1996 bis zu ihrem Sturz durch die US-geführten Truppen Ende 2001 beherrscht.