Taliban übernehmen nach und nach die Kontrolle

Wichtigste afghanische Behörden in der Hand der Islamisten. Rund um den Kabuler Flughafen herrscht weiter Chaos.
kabul Die militant-islamistischen Taliban übernehmen in Afghanistan immer mehr Behörden und Ministerien. Regierungsangestellte seien ihrem Aufruf gefolgt, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, sagte ein nicht namentlich genannter Beamter eines Ministeriums am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Es seien viele seiner Kollegen zur Arbeit gekommen, aber keine Frauen. Die Islamisten hätten Listen der Angestellten und würden nur jenen Zutritt erlauben, die auf der Liste stünden. Lokale Medien veröffentlichten Fotos, auf denen zu sehen war, dass Verkehrspolizisten wieder zu ihrer Arbeit zurückkehrten.
Berichte über Zwischenfälle
In den vergangenen Tagen gab es Berichte über Sicherheitszwischenfälle in der Stadt. Taliban-Kämpfer sollen sich Zutritt zu Wohnhäusern verschafft und Autos mitgenommen haben. Gleichzeitig sagten mehrere Bewohner Kabuls auch, dass einfache Kriminelle wohl nur vorgäben, Taliban zu sein. Am Dienstag gab es in einer Audiobotschaft eine Warnung an Taliban-Kämpfer, unter keinen Umständen Privathäuser zu betreten oder Fahrzeuge mitzunehmen. Chaos herrschte am Dienstag weiter rund um den Flughafen der Hauptstadt Kabul. Die Start- und Landebahn konnte zwar wieder geöffnet werden, dennoch versuchten weiterhin Hunderte Menschen, auf das Gelände zu kommen. Die Taliban würden diese mit einer Peitsche schlagen und auch in die Luft schießen, um sie auseinanderzutreiben, berichtete ein Augenzeuge. Von der anderen Seite der Flughaufenmauer sei Tränengas in die Menge gefeuert worden.
Am Montag war der Flugverkehr eingestellt worden, da sich Menschentrauben auf dem Flugfeld aufhielten. Viele verzweifelte Afghanen wollten das Land auf dem Luftweg verlassen. US-Militärs versuchten, sie mit Warnschüssen zurückzudrängen. Einem Augenzeugen zufolge ist in der Nacht eine Frau in der Nähe des militärischen Teils des Flughafens zu Tode getrampelt worden. Die NGO Emergency, die ein Krankenhaus in Kabul betreibt, teilte mit, acht schwer verwundete Patienten seien eingeliefert, 46 Leichtverletzte an andere Gesundheitseinrichtungen verwiesen worden. Neun Personen wären bereits bei ihrer Ankunft tot gewesen. Es gab keine Angaben, woher die Opfer kamen.
Nur sieben Menschen im Flugzeug
Westliche Staaten arbeiten derzeit mit Hochdruck daran, ihre Staatsbürger und afghanischen Mitarbeiter außer Landes zu bringen. Die USA rechnen damit, pro Tag 5000 bis 9000 Menschen aus Kabul ausfliegen zu können. Eine zweite Maschine der deutschen Bundeswehr brachte am Dienstag 125 Menschen nach Taschkent im Nachbarland Usbekistan. Der CDU-Außenexperte Johann Wadephul hatte zuvor eine Meldung der „Bild“-Zeitung bestätigt, wonach mit einem ersten Flug nur sieben Menschen aus der Stadt gebracht worden seien. Auch an die 25 Österreicher befinden sich noch in Afghanistan. Das Außenministerium versucht, die Betroffenen auf Evakuierungsflügen anderer europäischer Länder unterzubringen. Die Taliban hatten in den letzten Wochen in einem Siegeszug das ganze Land übernommen.
Wie Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vor einer außerordentlichen Sitzung der EU-Chefdiplomaten mitteilte, will die EU ihre künftigen Beziehungen zu den Islamisten an klare Bedingungen knüpfen. Solange sie Frauen unterdrücken, Menschen verfolgen und Terrorgruppen Zuflucht gewähren würden, könne man nicht zusammenarbeiten. „Wir wollen die Partnerschaft mit dem afghanischen Volk fortsetzen. Das setzt aber voraus, dass wir einen vernünftigen und zurechnungsfähigen Gegenüber haben.“ Die blitzartige Machtübernahme der Taliban nach dem Abzug westlicher Truppen bezeichnete Schallenberg als Fiasko. „Wir als Westen stehen wirklich vor einem Scherbenhaufen.“
„Wir als Westen stehen wirklich vor einem Scherbenhaufen.“

