Wir sind viel zu geduldig
Erinnere ich mich an meine Lehrerinnen und Lehrer, dann sind das zu allermeist Persönlichkeiten, zu denen ich nicht nur als Kind und Heranwachsender aufgeblickt habe, sondern zu denen ich das bis heute tue. Wissbegierige Menschen, die basierend auf Evidenz und Wissenschaft an unserer Flugbahn der Entwicklung gearbeitet haben.
Während der Pandemie war ich beeindruckt von der Volksschullehrerin unserer Tochter. Anfangs warf sie persönlich Lernblätter in die Briefkästen ihrer Schüler, jedes ihrer Whatsapp-Videos war für unsere Tochter ein Moment des Wiedersehens. Während andere die Sinnhaftigkeit von Masken in Frage stellten, installierte sie an der Klassen-Pinwand für jedes Kind eine Masken-Aufhängevorrichtung, damit nichts verwechselt wird.
„Die Lehrer sind halt ein Querschnitt der Gesellschaft.“
Auch als es zur vorgezogenen Impfung des Lehrpersonals kam, informierte sie ihre Klasse, dass es – aufgrund der Impfreaktion bei AstraZeneca – eben sein könne, dass die Frau Lehrerin zwei Tage ausfällt.
Weil aber ohnedies schon zu viel Unterricht pandemiebedingt ausfallen musste, stattete sie einen Schüler in der ersten Reihe mit einem Informationspaket für den allfälligen Vertretungslehrer aus, was zu machen sei. Natürlich stand die Lehrerin auch am nächsten Tag ihre Frau im Klassenzimmer.
Ich bin beeindruckt vom Engagement dieser Lehrerin, sie hätte wie viele, viele andere Pädagogen quer durch alle Schulstufen einen Preis verdient. Dabei hat sie von der Schulverwaltung wahrscheinlich nicht mal einen feuchten Händedruck (Ansteckungsgefahr!) bekommen.
Und ich bin nach wie vor mehr als irritiert, dass Ministerium und Schulverwaltung ihre Lehrer viel zu lange alleinließen, keine Infrastruktur trotz üppiger Microsoft-Verträge bieten konnten und auch heute noch Plattformen einsetzen, die in Funktionsumfang und Bedienerfreundlichkeit den Branchenstandards Lichtjahre hinterherhinken. Wenige Wochen vor Schulstart hektisch an irgendwelchen Regeln herumbasteln, zu denen man auf Pressekonferenzen dann “Schutzkonzept” sagen muss. Das alles kommt nicht mehr überraschend, es ist absehbar.
Einem Feldkircher HAK-Pädagogen wurde ein Jahr lang zugestanden, seine Maske nicht aufzusetzen und von irgendwoher seine Schüler zu unterrichten, bis man sich zu den von Anfang an klaren Konsequenzen durchrang.
Und auch jetzt, nahezu ein halbes Jahr, nachdem sich die allermeisten Lehrer haben impfen lassen, sind wir immer noch geduldig. Hören Lehrern zu, die auf den aktuellen Stand der Wissenschaft, ihrer Wissenschaft, pfeifen, sich selbst nicht impfen lassen wollen und damit ihre Schüler gefährden. Die ihre Gewerkschaft instrumentalisieren. Die Kilometergeld zur Fahrt zum Impfzentrum beantragen wollen.
Die Lehrer sind halt ein Querschnitt der Gesellschaft. Es sind kluge dabei, vorausschauende – und solche, die Telegram-Gruppen brauchen, um sich als vermeintlich echte Rebellen zu inszenieren.
Wir sind viel zu geduldig mit den Impf-Querulanten, auch in der Schule.
Vorarlbergs Bildungslandesrätin Barbara Schöbi-Fink erklärte nach dem Bildungsgipfel, sie wolle mit „dieser kleinen Gruppe“ an impf- und testunwilligen Pädagogen „versuchen, ins Gespräch zu kommen“. Es sei zu akzeptieren, wenn sich „diese kleine Gruppe“ Pädagogen nicht impfen lassen wolle.
Nach aktuellem Stand der Wissenschaft sind es Erwachsene, die die völlig ungeschützten unter 12-jährigen Kinder mit Covid-19 anstecken.
Es mangelt den Impf-Querulanten, auch in der Schule, nicht nur an Empathie, Vertrauen in die Wissenschaft, Medienkompetenz und der Fähigkeit, wissenschaftliche Texte sinnerfassend lesen zu können. Sondern es mangelt ihnen vor allem an Solidarität. Solidarität den ihnen anvertrauten Schulkindern gegenüber, die sich nicht impfen lassen dürfen.
So, wie das Handeln eines jeden Arztes durch den Eid des Hippokrates und den aktuellen Stand der Lehre beinflusst wird und nicht durch das, was er gerade privat so glaubt, so dürfen wir erwarten, dass nicht die Privatmeinung eines Volksschuldirektors eine Gefährdung für Kinder auslöst. Und dass das Land sich da superverständnisvoll zeigen soll, für das habe ich kein Verständnis.
Experte Armin Fidler, in Pädagogenkreisen völlig zu Unrecht angefeindet, hat Recht: „Pädagogen, die sich nicht impfen lassen, haben den Beruf verfehlt.“
Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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