Schweizer tendieren zu Durchseuchung

Weniger Tests an Schulen: Impfkoordinator lehnt auch Quarantäneregelung an.
SCHWARZACH In der Schweiz sind erst 61 Prozent der Menschen zumindest einmal gegen Corona geimpft. Das sind ungefähr so viele wie in Vorarlberg. Gemessen an der Bevölkerung wurden zuletzt jedoch mehr Infektionen und auch Intensivpatienten verzeichnet. Spitäler sind schon im August an ihre Kapazitätsgrenzgen gelangt. Immerhin hat sich die Lage nun stabilisiert und zum Teil sogar leicht entspannt.
Gleich geblieben ist ein sehr eigenständiger Umgang der Eidgenossen mit der Pandemie: Ab Montag brauchen Einreisende – mit Ausnahme von Grenzgängern – beispielsweise einen Nachweis, genesen, geimpft oder getestet zu sein. Auf der anderen Seite aber werden die Zügel an den Schulen des Landes mehr und mehr gelockert.
Die Fachgesellschaft für Kinder- und Jungendmedizin, Pädiatrie, fordert, Massentests, Maskenpflichten und Quarantäneverfügungen „auf ein unerlässliches Minimum“ zu reduzieren. Damit solle der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Erkrankungsverläufe bei den Jüngsten milder seien. Im Übrigen habe man festgestellt, dass sich Infektionen eher von jungen Erwachsenen zu Kindern ausbreiten als umgekehrt. Das sollte nach Ansicht der Gesellschaft berücksichtigt werden.
Fast gleichzeitig hat der Präsident der eidgenössischen Impfkommission, Christoph Berger, vergangene Woche im Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) die Quarantäne für Kinder überhaupt in Frage gestellt: Sie mache „momentan wenig Sinn“, so Berger in der Sendung „Rundschau“. Ansteckungen unter Kindern seien kein Problem, ist er überzeugt. Problematisch werde es, wenn Kinder gefährdete Personen anstecken würden. Hier seien jedoch die Eltern gefordert, im Rahmen der Eigenverantwortung entsprechende Gelegenheiten zu unterbinden.
In der föderalistischen Schweiz ist die Praxis alles andere als einheitlich. Der Bund macht Empfehlungen, die Kantone tun, was ihnen vernünftig erscheint. Im großen Kanton Bern, der über eine Million Einwohner zählt, hat man Massentests an Schulen eingestellt. Getestet wird erst, wenn Coronafälle bekannt geworden sind.
Gegenüber den VN erklärt SRF-Wissenschaftsredakteur Daniel Theis, es starte gerade eine Diskussion darüber, was man eigentlich erreichen wolle: Durchseuchung möglichst rasch, Durchseuchung etwas gestaffelt oder Schutz der Kinder, bis eine Impfung auch für sie bereitsteht. In Bern hat man nicht so lange warten wollen. Auch der Vorschlag der Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, nämlich weniger zu testen und Masken vorzuschreiben, läuft laut Theis auf eine Durchseuchung hinaus.
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