Nehammer: „Wichtig ist die Botschaft: Die Menschen sollen vor Ort bleiben“

Innenminister ärgert sich über die EU-Kommission in der Flüchtlingspolitik und berichtet über Gespräche zur Sicherungshaft.
Bregenz Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) spart nicht mit Kritik an der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Im Parlament erklärte er sie zuletzt für gescheitert; im VN-Gespräch am Donnerstag in Bregenz legte er noch einmal nach. Insbesondere mit der Europäischen Kommission ging er hart ins Gericht. „Wir haben derzeit die Situation, dass die EU-Kommission und vor allem die Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, die falschen Signale senden.“ Als Beispiel nennt der Minister erneut die Afghanistan-Krise. „Wichtig ist die eine Botschaft: Die Menschen sollen vor Ort bleiben; vor Ort wird geholfen.“ Österreich habe mit über 20 Millionen Euro schon einen wichtigen Beitrag geleistet.
Andererseits führt Nehammer die Situation in Litauen an, wo Belarus offenbar als Reaktion auf EU-Sanktionen Migranten als Druckmittel einsetzt. „Die litauische Innenministerin hat mir mitgeteilt, dass sie bei der Kommission um finanzielle Hilfe für einen Grenzzaun ersucht hat. Aber die einzigen Mittel, die Kommissarin Johansson zur Verfügung stellen wollte, waren für Aufnahmezentren.“ Auch das ist aus Nehammers Sicht ein falsches Signal. „Wir müssen uns auf schnelle Asylverfahren an der EU-Außengrenze und schnelle Rückführungen konzentrieren. Wenn wir das erreicht haben, können wir über weitere Themen im Bereich Migration und Asyl sprechen.“
Ein Modell, das der deutsche Innenminister Horst Seehofer während des Ratsvorsitzes seines Landes ins Spiel gebracht hat, befürwortet Nehammer. Es sieht Zentren an den EU-Außengrenzen vor, in denen Asylanträge geprüft werden. „Das kann die Zukunft sein“, sagt der Minister und verweist auf einen entsprechenden EU-Ratsbeschluss. „Und es ist grundsätzlich wichtig, dass die Genfer Flüchtlingskonvention wieder in ihrem Kern verstanden wird. Sie sieht vor, dass Verfolgte im nächstsicheren Land Zuflucht finden und sich bei den dortigen Behörden melden.“ Österreich habe seine Verpflichtungen erfüllt, etwa während der Krisen in Ungarn und der Tschechoslowakei oder dem Zerfall Jugoslawiens. „Nun sind wir mit einer globalisierten Migration konfrontiert. Die Menschen nehmen bis zu 6000 Kilometer Fluchtrouten auf sich, um sich ein Land aussuchen zu können, wo sie ihren Asylantrag stellen. Das ist der falsche Weg.“
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan sind Abschiebungen in das Land nicht mehr möglich. Nehammer bekräftigt seinen Vorstoß nach Abschiebezentren in den afghanischen Nachbarstaaten. Auch hier sieht er die Kommission gefordert. „Ein 500 Millionen-Menschen-Wirtschaftsraum stellt einfach eine andere Verhandlungsposition dar. Es soll für alle eine Win-Win-Situation sein, auch für das Land, das bereit ist, ein Abschiebezentrum bei sich zu tolerieren.“
Die Menschen nehmen bis zu 6000 Kilometer Fluchtrouten auf sich, um sich ein Land aussuchen zu können, wo sie ihren Asylantrag stellen.
Karl Nehammer, Innenminister
Gespräche gibt es derzeit über die sogenannte Sicherungshaft. Der umstrittene Vorstoß war unter der früheren türkis-blauen Regierung nach dem Mord des Sozialamstaleiters an der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn 2019 aufgekommen. Nach dem Mord an einer 13-Jährigen in Wien dieses Jahr nahm Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) das Thema im VN-Interview wieder auf: Es gehe um die Zeit, bis entschieden sei, ob ein Straftäter das Land verlassen müsse. Nehammer pflichtet bei: „Wir haben festgestellt, dass wir im Gesetz Lücken bei Menschen haben, die als besonders gefährlich eingeschätzt werden, aber die derzeitige Rechtslage keine Möglichkeit sieht, sie in Haft zu nehmen.“ Es handle sich um ein komplexes Thema und darüber hinaus um eine Verfassungsmaterie. „Im Koalitionsabkommen steht, dass wir über das Thema diskutieren müssen. Expertinnen und Experten in den Bereichen Justiz und Inneres führen Gespräche darüber und loten aus, wie das möglich sein könnte.“