Weniger Kadavergehorsam
Morgen beschließt das Parlament ein Gesetz, das die Regierung so nie wollte: die Impfpflicht.
Die Mehrheit sowohl in Nationalrat als auch Bundesrat ist gesichert. Doch der Beschluss treibt ebenso einen Keil zwischen die Parteien wie in viele Familien, Freundeskreise oder Freizeitvereine. Ohne die zahlreichen Argumente für und wider das Impfen, den Druck dazu und den wenig entschlossenen Weg der Regierung dorthin zu wiederholen: Beachtenswert ist die Besinnung auf das freie Mandat bei manchen Abgeordneten sowie die Haltung der einzelnen Parteien dazu.
So betonen Grüne und Neos, dass bei ihnen ohnehin nie Klubzwang herrsche. Gerald Loacker kann also sanktionslos gegen die Parteilinie stimmen. Zumindest dieses Mal. Der Dornbirner Stadtrat Martin Hämmerle hingegen ist seinen Sitz bereits los. Wobei es erstaunlicherweise bei den Grünen für höchste Ämter offenbar keine Parteimitgliedschaft braucht. In der SPÖ wackeln die Salzburger und Burgenländer, die das Votum wohl auch mit einer Abstimmung über ihre Parteichefin verbinden.
Falls die Klubchefinnen Sigrid Maurer, Beate Meinl-Reisinger und Pamela Rendi-Wagner um ihre Autorität fürchten, unternehmen sie zumindest kommunikativ alles, um es nicht zu zeigen. Die ausgedrückte Zufriedenheit über eine Zweidrittel-Zustimmung im Klub bis hin zur Aussage, die Partei stehe geschlossen hinter der Impfpflicht, zeigt hingegen deutlich: Es könnte zukünftig mehr Bewegung ins parlamentarische Geschehen kommen.
Wobei es einen entscheidenden Unterschied macht, ob eine Regierungspartei oder die Opposition ihre Geschlossenheit verliert. Verkürzt ausgedrückt: Die Stimmen der Opposition braucht es ohnehin nicht für einfache Gesetze. In der Regierung jedoch braucht es die Verlässlichkeit, gemeinsame Kompromisse auch mitzutragen. Hier liegt der Widerspruch zwischen dem Klubzwang und dem freien Mandat, das den individuellen Willen der Abgeordneten schützt.
Zu viel Einzelwille wird früher oder später von allen Parteien sanktioniert. Sei es sofort durch Ausschluss oder durch Verweigerung eines aussichtsreichen Listenplatzes bei der nächsten Wahl. Viele fristen in der Zwischenzeit als wilde Abgeordnete ein unbeachtetes politisches Leben. Die neue Ländle-SP-Chefin Gabriele Sprickler-Falschlunger bezeichnete den Beitrag ihres ehemaligen Klubobmannes im Landtag gar als „sinnlos“. Unabhängig von der persönlichen Qualifikation von Thomas Hopfner hat sie damit recht. Oder wann haben Sie das letzte Mal etwas von Philippa Strache gehört? Genau, die Ehefrau des ehemaligen FPÖ-Chefs sitzt immer noch in der letzten Reihe des Nationalrates.
Manch heftige Debatte morgen wird wohl in Parteigremien eine Fortsetzung finden. Parteien und Parlamentarier könnten aber die Chance nützen, uns alle zu überraschen: mit einer lebendigen, aber konstruktiven Diskussion. Mit weniger Kadavergehorsam, dafür mit mehr Gemeinsinn.
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