Riskante Atomkraft führt zu weiterer Abhängigkeit von Russland

Politik / 01.03.2022 • 21:20 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Arbeiter messen rund um die Atomruine Tschernobyl möglicherweise erhöhte Strahlenwerte. Eine größere Gefahr geht aktuell von aktiven Kraftwerken aus, warnen Experten. <span class="copyright">Reuters</span>
Arbeiter messen rund um die Atomruine Tschernobyl möglicherweise erhöhte Strahlenwerte. Eine größere Gefahr geht aktuell von aktiven Kraftwerken aus, warnen Experten. Reuters

Über den Vormarsch russischer Truppen im größten Atomkraftwerk Europas in der Ukraine zeigt sich IAEA-Generalsekretär Grossi besorgt.

Wien Russische Flugzeuge bombardieren die Ukraine, ein Land, in dem 15 Atomkraftwerke laufen. Vor allem der Vormarsch der russischen Truppen in Saporischschja, wo das größte Atomkraftwerk Europas in Betrieb ist, macht Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) mit Sitz in Wien, Sorgen. Die Vorfälle würden zeigen, dass “das sehr realistische Risiko besteht, dass Einrichtungen mit Nuklearmaterial im Konflikt beschädigt werden und dass es zu möglichen schweren Folgen für Mensch und Umwelt kommt”, sagt er.

Riskante Atomkraft führt zu weiterer Abhängigkeit von Russland

Auch die Abteilung für Strahlenschutz im österreichischen Umweltministerium hat ihre Arbeit intensiviert. Aber, so die deutliche Botschaft am Dienstag: “Es besteht aktuell keine Gefahr.” Im Falle eines nuklearen Zwischenfalls ist die Abteilung die zentrale Stelle für den Schutz der Bewohner Österreichs. Die Experten stimmen sich rund um die Uhr mit den Behörden der Nachbarländer, der EU und der Internationalen Atomenergiebehörde ab, heißt es aus dem Ministerium.

15 Reaktoren in Betrieb

In der Ukraine sind aktuell 15 Reaktoren an vier Standorten in Betrieb: Riwne, Saporischschja, Chmelnyzkyj und Süd-Ukraine. Sie erzeugen mehr als die Hälfte des Stroms im Land. Die Kraftwerke liegen zwischen 700 bis 1300 Kilometer von der österreichischen Staatsgrenze entfernt. Laut staatlicher Nuklearaufsichtsbehörde der Ukraine (SNRIU) werden alle Kernkraftwerke des Landes weiterhin sicher betrieben.

Riskante Atomkraft führt zu weiterer Abhängigkeit von Russland
Kadri Simson ist EU-Kommissarin für Energie.AP/Virginia Mayo

“Kein Atomkraftwerk ist für Krieg ausgelegt”, sagt Reinhard Uhrig, Atomkraftexperte bei Global 2000, im Gespräch mit den VN. Saporischschja liege im Kriegsgebiet. In der Umgebung werde durchaus gekämpft, sagt er. Über ein Anti-Atomkraft-Netzwerk ist er in Kontakt, auch mit Kollegen in der Ukraine. Er berichtet von der aktuellen Situation im größten Kernkraftwerk Europas: “Ein Reaktor ist für Wartungsarbeiten ohnehin abgeschaltet, zwei weitere wurden am Sonntag aus Sicherheitsgründen runtergefahren. Das geht bei einem Atomkraftwerk aber nicht auf Knopfdruck. Zudem laufen drei 1000 Megawatt-Reaktoren am Standort weiter.”

Zudem berichtet er, dass eine Kollegin vor sieben Jahren in Saproischschja war und dort Castor-Behälter, die unter freiem Himmel gelagert wurden, entdeckt hätte. Darin befand sich radioaktives Material. Der Guardian berichtete.

Anschluss an das europäische Stromnetz

Am Dienstag bat der ukrainische Energieminister die EU um Anschluss an das Stromnetz der EU. Das Land befindet sich momentan im Inselbetrieb, da es nicht mehr mit dem russischen Stromnetz verbunden ist. Kadri Simson, EU-Kommissarin für Energie, betonte, dass der Anschluss zwar eine “große Herausforderung” sei, aber etwas Greifbares, womit der Ukraine nun geholfen werden könne. Für die Anbindung werden Kosten in Höhe von 357 Millionen Euro veranschlagt. “Es wäre durchaus sinnvoll, das sehr rasch anzugehen. Das ist zwar technisch nicht ganz einfach, aber notwendig, um die Reaktoren herunterzufahren”, sagt auch Uhrig.

Dass auch Atomenergie von Russland abhängig machen kann, zeigt ein aktuelles Beispiel. “Die Slowaken haben heute einen russischen Flieger aus Moskau in Bratislava landen lassen, mit Atombrennstoffen für Mochovce und Bohunice. Wenn es um Atomkraft geht, die ja auch angeblich unabhängig machen soll, ist man wieder auf Russland angewiesen”, kritisiert Uhrig.