Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Gipfel der Widersprüchlichkeit

Politik / 09.03.2022 • 21:45 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

50.000 Neuinfektionen in ­24 Stunden. Österreich befindet sich nicht in den Ausläufern der Pandemie, wir stehen am bisherigen Höhepunkt. Dank der Impfung und der verhältnismäßig milden Omikron-Variante hat Corona ihren Schrecken verloren, für den Moment. Wir alle haben die Seuche mehr als satt. Die, die nicht krank oder abgesondert sind, leben ihr Leben, als gäbe es keine Pandemie.
Bis sie krank oder abgesondert sind.
Hunderttausende, die nach zwei Jahren Vorsichtigsein und Aufpassen in eine neue Frühlingswelle hineingezogen werden, weil sämtliche Schutzmaßnahmen superfrüh eliminiert wurden, drei Wochen im Voraus von der Regierung angekündigt. Die Masken fielen unter Applaus der allermeisten Landeshauptleute. In der Hoffnung, dass die Zahlen sinken würden. Nun, sie steigen.
Die Toten, die nun auf der Normalstation sterben? Ignorieren wir. Sind eh alt. Dass Kinder unter fünf Jahren nach wie vor ungeschützt sind? Okay. Anders als die Wirtschaft haben Kinder keine Kammer (und dürfen ohnedies nicht wählen). Es sind einmal mehr die Frauen, die die Hauptlast im permanenten Hin und Her bei Absonderung der Kinder tragen.
Die Inzidenz bei 5- bis 14-jährigen liegt in Vorarlberg bei 5000, rechnet Statistikprofessor Erich Neuwirth vor. Neuwirth, eigentlich seit 12 Jahren in Pension, genießt zu Recht höchstes Vertrauen, wenn es um Zahlen zur Pandemie in Österreich geht. Vertrauen, das Politik und Ministeriumsapparate längst verspielt haben. Durch Corona-Ampeln, parallele Schul-Ampeln, Daten-Probleme, Verknüpfungs-Probleme, politisches Hickhack.


Die Widersprüchlichkeit der verbliebenen Maßnahmen ist maximal – und damit das Unverständnis. Während seit dem Wochenende wieder eng an eng abgetanzt wird und nirgends mehr Tests benötigt werden, werden die Schüler weiterhin drei Mal in der Woche getestet. Die Kinder bekommen im Idealfall einen „Ninja”-Sticker, und sonst eine behördliche Absonderung über zehn Tage, Kontrollbesuch vom Dorfpolizisten inklusive. Wenn Corona, wie die Regierung durch all ihre Handlungen suggeriert, nicht mehr gefährlich ist, es eh egal ist – wieso sekkiert man dann die Kinder? Wieso Absonderungen?
Oder wär’s etwa doch g’scheiter gewesen, noch ein paar Wochen die Maske zu tragen?
Wer stellt sich hin und sagt: Es war eine schlechte Idee, so früh praktisch alle Maßnahmen der Schlagzeile wegen fallen zu lassen?
Wer stellt sich hin und sagt: es war ein Fiasko, wie die Impfpflicht beschlossen, erst anschließend diskutiert, dann eingeführt und sofort wieder ausgesetzt wurde?
Nach dem berühmt-berüchtigten Ausflug der Landeshauptleute an den Achensee längst über den eigenen Mut erschrocken, zerredeten die Teilnehmer des Impf-Schwures seitdem das Gesetz. Halbherzig umgesetzt, im Wissen, dass das Gesetz „für diese Welle zu spät” kommt. Jetzt wird der Rechtstext ausgesetzt, weil das Gesetz überraschenderweise für diese Welle zu spät kommt.
Nur kann dieses nun zu Grabe getragene Gesetz nicht in drei Monaten einfach so reaktiviert werden. Ein Gesetz, das langfristig wirken soll, aber absolut kurzfristig an- und ausgeknipst wird. Das Impfpflichtgesetz ist tot.
Neo-Minister Johannes Rauch hat angekündigt, alle Landeshauptleute zu besuchen, um mehr Einigkeit herzustellen. So funktioniert die Republik momentan. Und das läuft nur so, weil die Bundesregierung aktuell so schwach ist.

Gerold Riedmann

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