Stromausfall in Tschernobyl: Wo die Strahlenwolke hinwehen würde, wenn etwas passiert

Laut Strahlenschutzabteilung und Atombehörde besteht aber keine Gefahr.
Wien In einer an schlechten Nachrichten reichen Zeit alarmiert diese Schlagzeile einmal mehr: Das ehemalige ukrainische Atomkraftwerk Tschernobyl sei von der Stromversorgung abgeschnitten. Durch Beschuss seien Stromleitungen beschädigt worden, teilte der ukrainische Netzbetreiber Ukrenerho am Mittwoch mit. Der dort gelagerte Atommüll muss noch einige Jahre gekühlt werden. Kampfhandlungen nördlich von Kiew verhinderten aktuell alle Reparaturarbeiten. Das Areal war vor rund zwei Wochen von russischen Truppen eingenommen worden, die VN berichteten.
“Es besteht keine Gefahr für Österreich”, heißt es aus der Strahlenschutzabteilung des Klimaschutzministeriums. Die Strom-Notabschaltung im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl bedeutet keine Gefahr. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bestätigte die Möglichkeit einer Freisetzung von radioaktivem Material nicht, berichtete die Strahlenschutzabteilung weiter.
Laut Ministerium zeigen die Strahlenfrühwarnsysteme in der Ukraine und in Österreich keine erhöhten Messwerte. Im Falle einer Notabschaltung seien Notstrom-Dieselgeneratoren vorhanden, um sicherheitskritische Systeme der Anlage mit Strom zu versorgen. Bei störungsfreiem Betrieb würden diese Dieselgeneratoren zunächst für 48 Stunden reichen. Auch danach können die Generatoren weiter mit Diesel betrieben werden, versicherte das österreichische Klimaschutzministerium. “Auch bei einem kompletten Ausfall der Stromversorgung würde es im schlimmsten Fall Tage bis zu einer möglichen Freisetzung radioaktiver Stoffe dauern. In jedem Fall wäre durch eine mögliche radiologische Freisetzung nur die unmittelbare Umgebung in der Ukraine und in Belarus betroffen.”
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Der Journalist Jörg Kachelmann postete eine Karte, auf der man sehen kann, wohin sich die Luftpakete aus verschiedenen Höhen in den kommenden 120 Stunden verlagern würden, auch vom ehemaligen AKW Tschernobyl aus. Österreich wäre auch nach diesen Berechnungen nicht betroffen.
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Feuerpause gefordert
Die Ukraine forderte eine Feuerpause von Russland, um die Stromleitung zum Atomkraftwerk Tschernobyl reparieren zu können. Sollte der Stromausfall anhalten, bestehe die Gefahr eines Austritts von radioaktiver Strahlung, twitterte Außenminister Dmytro Kuleba. Dieselgeneratoren als Reserve hätten eine Kapazität von 48 Stunden, um das AKW mit Strom zu versorgen. Danach würden die Kühlsysteme des Lagers für abgebrannten Brennelemente abgeschaltet.
Personal in Tschernobyl unter hohem Druck
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte zuvor schon beklagt, dass das durch die Katastrophe von 1986 bekannte ehemalige AKW zunehmend von der Außenwelt abgeschnitten sei. Der Behörde zufolge sind 210 Techniker und lokale Sicherheitsmitarbeiter seit fast zwei Wochen ununterbrochen im Dienst, weil es unter russischer Kontrolle keinen Schichtwechsel mehr gegeben habe. Außerdem habe die IAEA keine Verbindung mehr zu ihren Überwachungsgeräten, die sicherstellen, dass alles Nuklearmaterial an seinem Platz ist.
Global 2000 warnte, dass die Lage in den abgeschalteten Reaktoren und im zerstörten Block 4 in Tschernobyl seit Tagen kritisch sei. Noch besorgniserregender sei die Netztrennung, da der gelagerte Atommüll weiter versorgt und einige Jahre gekühlt werden müsse. “Es ist völlig unklar, wie viel des Mülls weiterhin aktive Kühlung braucht”, urgierte der Global-2000-Atomexperte Reinhard Uhrig.
Hildegard Breiner: Überlastetes Personal hat 1986 zur Katastrophe geführt
Die Russ-Preis-Trägerin und Anti-Atomkraftaktivistin Hildegard Breiner verfolgt die aktuelle Entwicklung mit großer Sorge. „Überlastetes Personal hat damals auch zum Unfall in Tschernobyl 1986 geführt.“ Breiner verweist in diesem Zusammenhang auf den Brand im größten europäischen AKW Saporischja vor einigen Tagen. „Wir dürfen uns gar nicht vorstellen, was alles passieren könnte.“
Mit Blick auf die Debatte rund um Abhängigkeiten von russischem Gas glaubt Breiner nicht an eine Rückkehr der Atomkraft in großem Stil. Zum Beispiel in Deutschland könne aber durchaus eine Verlängerung der Laufzeiten drohen, glaubt sie. „Aber die Errichtung von Neubauten dauert zu lange, dazu sind sie zu teuer und unwirtschaftlich.“ Umso wichtiger sei es nun, den Umstieg auf erneuerbare Energieträger zu beschleunigen. VN-JUS