Politik als Feindbild in der Pandemie

Politik / 09.04.2022 • 05:30 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Auch auf den Coronademos kam es zu Anfeindungen. <span class="copyright">VN/Steurer</span>
Auch auf den Coronademos kam es zu Anfeindungen. VN/Steurer

Drohungen haben sich massiv verstärkt, vor allem im Internet.

Schwarzach Die Attacke passierte mitten in der Wiener Innenstadt. Ein mutmaßlicher Gegner der Coronamaßnahmen soll die Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer zunächst verbal beschimpft und ihr dann ein Glas ins Gesicht geschlagen haben. Die Situation ging vergleichsweise glimpflich aus: Maurer blieb unverletzt, der 26-jährige Verdächtige wurde wegen versuchter Körperverletzung angezeigt. Obwohl die Hintergründe noch untersucht werden, versinnbildlicht der Vorfall die Probleme, mit denen Politiker zunehmend konfrontiert sind. Wegen der Pandemie nahmen Anfeindungen gegen sie deutlich zu. In einschlägigen Gruppen von Coronaleugnern im Internet fehle teilweise jegliche Empathie, sagt die Netzexpertin Ingrid Brodnig.

Internet als Tatort

Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigt auf VN-Anfrage eine Zunahme von Drohungen gegen Politiker seit Beginn der Coronakrise. Als Höhepunkt bezeichnet er die Situation vergangenes Jahr, als es erneut zum Lockdown kam und die Impfpflicht verkündet wurde. Insbesondere das Netz sei Tatort, aber auch Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen. Zwar finde Gewalt glücklicherweise nur in Einzelfällen statt, Drohungen würden aber trotzdem sehr ernst genommen. „Der Verfassungsschutz steht in engem Kontakt mit den Politikern. Für einige gibt es Personenschutz.“ Dafür finde eine Gefährdungseinschätzung statt. Zusammenfassend hält der Sprecher fest: „Diese Beschimpfungen und Drohungen hat es vorher nicht gegeben.“

Auch die Autorin und Netzexpertin Brodnig ortet eine zunehmende Verrohung der Debatte. „Wenn ich mit Politikerinnen und Politikern spreche, die mit dem Thema Corona zu tun haben oder damit assoziiert werden, dann berichten diese von extremen Beleidigungen und Bedrohungen. Meistens bleibt es bei Worten.“ Zwar könne sie über den aktuellen Vorfall und den mutmaßlichen Angreifer nichts sagen, im Allgemeinen gäbe es aber ein Eskalationspotenzial, auch wenn derzeit vergleichsweise wenig Coronamaßnahmen existieren, sitze die Wut zum Teil sehr tief.

„Natürlich, zu gewissen Themen gibt es immer wütende Onlinecommunities, in denen man sich gegenseitig anheizt“, erläutert die Expertin. Doch bei den Coronamaßnahmengegnern handle es sich um eine Szene, die man genau beachten sollte. „Nur, weil für viele Menschen die Pandemie derzeit in der Wahrnehmung in den Hintergrund gedrängt wurde, heißt das nicht, dass nicht noch immer eine enorme Wut über die Maßnahmen vorherrscht.“ Besonders die Impfpflicht habe die Problematik intensiviert. Das gehe sogar so weit, dass viele in den Onlinegruppen so ein großes Feindbild aufgebaut hätten, dass jegliche Empathie mit Politikerinnen und Politikern verloren gehe. „Sie sehen in ihnen teilweise keine Menschen mehr.“ Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, was im Herbst passiert, sollten die Coronaauflagen noch einmal verschärft werden müssen.

Anfeindungen im Land

Auch in Vorarlberg sind Politiker mit Gewaltdrohungen konfrontiert. Wie die VN berichteten, waren Landeshauptmann Markus Wallner und Auch in Vorarlberg sind Politiker mit Gewaltdrohungen konfrontiert. Wie die VN berichteten, waren Landeshauptmann Markus Wallner und Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (beide ÖVP) zeitweise schweren Anfeindungen ausgesetzt. Der Verfassungsschutz ermittelte. Im Jänner wollten Maßnahmengegner sogar den Wohnsitz von Wallner aufsuchen. Die Situation habe sich mittlerweile wieder etwas entspannt, sagt eine Polizeisprecherin. Trotzdem stehe die Polizei mit betroffenen Politikern in engem Kontakt. Auch vonseiten des Landes heißt es, dass derzeit keine konkreten Bedrohungslagen bekannt seien. „In Vorarlberg ist kein Personenschutz notwendig.“

Für Sigrid Maurer ist der aktuelle Vorfall übrigens nicht die erste Gewalterfahrung. 2018 erhielt sie im sozialen Netzwerk Facebook obszöne Nachrichten, machte das publik und wurde daraufhin von einem als Bierwirt bekannt gewordenen Mann wegen übler Nachrede verklagt. Erst Ende 2021 kam der Freispruch. Damals sprach die Politikerin von einem Präzedenzfall, der eine öffentliche Debatte über Hass im Netz angestoßen habe.