Ukrainekrieg löst viele türkische Probleme

Der türkische Präsident Erdogan profitiert vom Ukrainekrieg.
Ankara Bundeskanzler Karl Nehammer hat seinem spektakulären Besuch bei Putin ein Telefongespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorausgehen lassen. Auch bei seinem Flug nach Moskau legte er einen Umweg über Istanbul ein, wo wir bis heute nicht wissen, was er von Sonntagabend bis Montagvormittag gemacht hat. Beobachter am Bosporus vermuten ein persönliches Geheimtreffen mit Erdogan.
Letzter Verbindungsmann des Westens
Der schon aufs Abstellgleis geschobene Außenseiter der NATO ist nämlich dank Ukrainekonflikt für den Westen zum neu umworbenen Akteur auf der Szene des Zurückweisens von Putins Expansionsgelüsten geworden. Seine Sperre von Bosporus und Dardanellen für russische Kriegsschiffe war nur der erste der Schritte, mit denen Erdogan seine Bündnistreue zur NATO aufs Neue unter Beweis stellte.
Beim Sondergipfel der NATO am 24. März erlebte der türkische Staatschef seine Auferstehung als treuer Wahrer ihrer Interessen. Darüber ließ er seine bisher engen Beziehungen zu Putin nicht abreißen, sondern wurde letzter Verbindungsmann des Westens, für den der Kreml noch ein offenes Ohr hat.
Als sich Erdogan gleich nach Kriegsbeginn als Vermittler anbot, wurde er noch auf die leichte Schulter genommen. Auch sein – tatsächlich abenteuerlicher – Vorschlag, die von ihm zum Ärger der USA in Russland eingekauften Raketen S 400 nun der Ukraine zur Verfügung zu stellen, erwies sich als nicht durchführbar. Doch sind die dann vom türkischen Präsidenten in Istanbul eingefädelten ukrainisch-russischen Gespräche bisher die einzige Hoffnung für einen Verhandlungsfrieden zwischen Kiew und Moskau.
Auch liegt Erdogans anfangs belächelter Vorschlag für ein von ihm vermitteltes Treffen von Selenskyj und Putin am Bosporus nun nicht mehr im Bereich des Unmöglichen. Irgendwann muss man sich ja mit Putin einigen, wenn dieser besonders schreckliche Krieg beendet werden soll.
Teuerung kann nicht mehr nur Erdogans Fehler
Erdogans außenpolitischer Aufwind hat natürlich auch stabilisierende Wirkung für die volatil gewordene türkische Innenpolitik. Dem immer lauter gewordenen Murren über die Machtfülle des Präsidenten hält sein Vize Fuat Oktay nun entgegen, dass die Türkei im Kriegsszenario am Schwarzen Meer einfach einen „starken Mann“ brauche. Wie er am Ostersonntag bei einer Kundgebung im zentraltürkischen Konya erklärte, „hat dieses Präsidialsystem die Fähigkeit der Türkei gesteigert, rasch auf regionale Krisen zu reagieren und sich als Mitspieler einzuschalten”.
Auch eine galoppierende Inflation, Teuerung, Lebensmittelverknappung, Währungsverfall und Arbeitslosigkeit können nun nicht mehr dem Regime Erdogan allein angelastet werden. Wenn sich beim Bäcker die Menschen über den fast unerschwinglichen Brotpreis beklagen, wird nicht mehr ausschließlich über die türkische Führung geschimpft. Jetzt heißt es: „Wir haben ja Krieg.“
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