An welchen Schrauben bei der Sozialhilfe gedreht wird

Kritik kommt von Sozialorganisationen: Die Hilfen sind immer noch zu niedrig. Zumindest die Kinderrichtsätze gehören angehoben.
Bregenz Es sind Fälle wie jener einer jungen Frau aus Spanien ohne Aufenthaltsstatus. Sie war zunächst in Vorarlberg liiert, dann kam die Trennung. Nach Spanien konnte sie nicht zurück. Sozialhilfe war keine Option. 30 bis 50 solcher Fälle gibt es im Land jedes Jahr.
Nun soll sich das ändern. Die Bundesregierung hat kürzlich ein Paket geschnürt, damit Personen, die bisher vom Bezug der Sozialhilfe ausgeschlossen waren, entsprechende Leistungen erhalten und wieder krankenversichert werden. Landesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) begrüßt die Änderungen, und dabei insbesondere die Härtefall-Klausel. Sozialeinrichtungen bemängeln nach wie vor bestehende Probleme beim Sozialhilfe-Grundsatzgesetz.
„Realpolitikerin genug“
An diesem will die Bundesregierung nicht rütteln. Es war 2019 unter Türkis-Blau entstanden. Aus der Mindestsicherung wurde Sozialhilfe. Statt den bis dahin gültigen Mindeststandards gab es nun Höchstgrenzen. „Ich bin Realpolitikerin genug, zu wissen, dass das Grundsatzgesetz nicht wesentlich verändert wird“, sagt Wiesflecker. Dies sei mit der ÖVP auf Bundesebene wohl ausgeschlossen. Dennoch begrüßt die Soziallandesrätin im VN-Gespräch das nun präsentierte Paket. Dabei nennt sie auch den Fall der eingangs erwähnten Spanierin als Beispiel. „Es ist zwar keine große Gruppe an Menschen. Bisher konnte sie aber nicht unterstützt werden.“ Es geht etwa auch um Personen mit humanitärem Bleiberecht, die ihre Arbeit verloren haben. Österreichweit wird der Personenkreis mit etwa tausend bemessen.
Neu ist außerdem, dass betreute Wohneinrichtungen wie etwa Frauenhäuser oder Obdachlosenunterkünfte nicht mehr als gemeinsamer Haushalt behandelt werden. Wiesflecker zufolge ist das ebenfalls eine wichtige Neuerung. Diese erhöht nun den individuellen Bezug der Bewohnerinnen und Bewohner. Sie erhalten die vollen Leistungen – der Richtsatz liegt derzeit bei rund 978 Euro – anstatt wie bisher maximal 70 Prozent pro Person.
Sozialhilfe in Vorarlberg
Insgesamt 9854 Sozialhilfe-Bezieher zählte das Land im Jahr 2021. 3866 davon waren Kinder. Die durchschnittliche Bezugsdauer liegt bei ca. einem halben Jahr. Knapp 40 Prozent der Bezieher sind Österreicher, 39 Prozent Flüchtlinge, fast 13 Prozent Drittstaatsangehörige und 8,5 Prozent EU-Bürger.
Änderungen beim Pflegegeld habe Vorarlberg bereits eigenständig korrigiert, erläutert die Landesrätin weiter. Es soll demnach auch bei pflegenden Angehörigen nicht mehr angerechnet werden. „Dass das nun im Grundsatzgesetz bundesweit klargestellt wird, ist aber sinnvoll.“ Dasselbe gelte im Fall von Einmalzuwendungen wie zum Beispiel den Teuerungsausgleich. „Damit müssen auf Landesebene nicht immer Ausnahmen geschaffen werden.“ Schließlich mache es keinen Sinn, dass einmalige Zahlungen zum Einkommen dazugerechnet und über die Sozialhilfe wieder gekürzt würden, sagt die Landesrätin. Auch bei Personen, die Sozialhilfe beziehen und arbeiten, soll künftig das 13. und 14. Monatsgehalt nicht angerechnet werden.
Spielräume auf Landesebene
Was das Grundsatzgesetz angeht, unterstreicht Wiesflecker die Spielräume auf Landesebene bei Wohnzuschuss und Kinderrichtsätzen, die in Vorarlberg genützt würden. Als großen Kritikpunkt, der auch durch die jetzigen Änderungen nicht gelöst wird, hebt sie die Situation der subsidiär Schutzberechtigten hervor: „Sie sind auf die Höhe der Grundversorgungsleistungen zurückgestuft worden und haben es nun viel schwieriger als früher.“
“Menschenwürdige Versorgung”
Kritik kommt von Peter Brunner, Geschäftsführer des Vereins Dowas (der Ort für Wohnungs- und Arbeitssuchende): “Das Gesetz hat an sich große Schwächen, die werden durch die Verbesserungen jetzt nicht aufgehoben.” Problematisch ist laut Brunner etwa die Schlechterstellung von ausländischen und migrantischen Personen und “diese Orientierung an Höchstgrenzen und nicht an menschenwürdiger Versorgung”. Zudem seien die Niveaus zu niedrig angesichts der hohen Lebenserhaltungs- und Wohnkosten in Vorarlberg. Mit mehreren Kindern sei es kaum noch möglich, eine Wohnung zu bekommen, sagt er: “Und wenn, dann nur zu extremen Preisen.” Brunner ergänzt: “Es ist wie bei einem Haus: Wenn das Fundament nicht gut ist, kann man viel an der Fassade machen. Aber es bleibt ein grundsätzliches Problem.”
Drei von zehn Giftzähnen
“Es wurden drei von zehn Giftzähnen gezogen, aber es tut immer noch weh”, sagt Michael Diettrich von der Vorarlberger Armutskonferenz. Er befürwortet zum Beispiel die Erleichterungen für Härtefälle. Ansonsten würden die beabsichtigten Änderungen in Vorarlberg keine großen Auswirkungen haben, kritisiert Diettrich: “Der aus unserer Sicht giftigste Zahn des Bundesgesetzes ist weiterhin die Kürzung der Mittel für den Lebensunterhalt nach Abzug der Wohnkosten. 570 Euro für einen Alleinstehenden, 1500 Euro für eine Familie mit zwei Kindern oder 921 Euro für einen Alleinerzieherhaushalt mit einem Kind reichen einfach nicht zum Leben.” Die Landesregierung hätte selbst auf Basis der aktuellen Gesetzeslage die Möglichkeit, zumindest die Kinderrichtsätze anzuheben, fordert er: “Wir empfehlen nachdrücklich, diese Möglichkeit zu nutzen.” VN-JUS, RAM