Kein Legitimationsproblem für umgebildete Bundesregierung

Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik sieht viele Personalrochaden in der Bundesregierung großteils unproblematisch. In den Ministerien könnte es aufgrund langer Einarbeitungsphasen aber zu Problemen kommen.
Wien Die zweite Bundesregierung von Sebastian Kurz (ÖVP) wurde am 7. Jänner 2020 von Bundespräsident Alexander Van der Bellen ernannt.
Das Koalitionsbündnis folgte auf den Erdrutschsieg der Volkspartei und den Wiedereinzug der Grünen bei der Nationalratswahl 2019. Seither ist viel passiert – Stichwort Pandemie, Stichwort Krieg. Im ausverhandelten Regierungsprogramm werden diese neuen Aspekte naturgemäß nicht berücksichtigt. Aber auch innenpolitisch hatten die letzten zweieinhalb Jahre einiges zu bieten – besonders was Korruptionsskandale und Ermittlungen der Staatsanwaltschaften betrifft.
Auch aus diesen Gründen schaut die Zusammensetzung der Bundesregierung anders aus als noch vor zweieinhalb Jahren. Insgesamt 14 Personalrochaden gab es, inklusive zweier Wechsel im Bundeskanzleramt. Ulrike Lunacek, Christine Aschbacher, Rudolf Anschober, Sebastian Kurz, Gernot Blümel, Heinz Faßmann, Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck: Sie alle waren zu Beginn noch an Bord – mittlerweile haben sie sich aus dem politischen Tagesgeschäft verabschiedet. Hinzu kommen Wolfgang Mückstein und Michael Linhart, die erst später dazustießen und schon wieder den Hut nahmen.
Parteien vor Personen
Der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik (Universität Wien) sieht in den häufigen Wechseln in den Ministerbüros aber kein Legitimationsproblem: „Legitimität entsteht immer in den Augen der Wählerinnen und Wähler. In einer parlamentarischen, parteienbasierten Demokratie, wie es Österreich eine ist, sollte das nicht an den einzelnen Personen hängen.“ Da sei es auch kein demokratiepolitisches Problem, dass sich die ersten sechs Personen auf der ÖVP-Bundesliste zur Nationalratswahl mittlerweile aus der Politik zurückgezogen haben: „Die meisten Leute wählen einfach eine Partei und die ist auch das Bindeglied. Das sind keine einzelnen Personen“, erklärt Ennser-Jedenastik im Gespräch mit den VN. Das würde sich auch darin zeigen, dass die meisten Wählerinnen und Wähler keine Vorzugsstimmen vergeben.
Ein viel größeres Problem würde sich angesichts der vielen Wechsel in den Ministerien selbst ergeben: „Man unterschätzt das manchmal, wieviel Einarbeitungs- oder Lehrzeit solche Ämter beinhalten.“ Das würde nicht nur die oberste Spitze, sondern auch Kabinette, die Bürokratie und die gesamte Verwaltung betreffen: „Das passiert jedes Mal, wenn etwas umorganisiert wird. Darunter kann schon die Qualität der politischen Arbeit leiden, vor allem wenn es um langfristige Projekte geht“, so Ennser-Jedenastik. Außerdem müssten sich die Parteien immer die Frage stellen, ob sich Neuzugänge im Regierungsteam dem Regierungsprogramm überhaupt verpflichtet fühlen.
Fehlender Masterplan
Eine Neuausrichtung ebendieses Programms könnte – auch angesichts der weltweiten Entwicklungen – also durchaus Sinn machen, erläutert der Politologe: „Man könnte es zumindest in Teilen machen. Ich glaube nicht, dass sich alle Sachen gut aufschnüren lassen, weil sonst die Gefahr besteht, dass sie gar nicht mehr passieren.“ In letzter Zeit habe man aber viele Themengebiete – zum Beispiel Corona oder die Energiepolitik – permanent neu verhandelt: „Es bräuchte einen Masterplan, wohin die Reise geht. Nicht immer nur ad-hoc- Maßnahmen, mit denen man schnell reagiert, aber denen die Weitsicht fehlt.“
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