Rauchs Milliardenpaket für die Pflege als Notfallsplan

Politik / 13.05.2022 • 04:00 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Am "Tag der Pflege" demonstrierten in ganz Österreich Pflegekräfte und der Sozialminister präsentierte sein Pflegereformpaket. <span class="copyright">APA/Hans Punz</span>
Am "Tag der Pflege" demonstrierten in ganz Österreich Pflegekräfte und der Sozialminister präsentierte sein Pflegereformpaket. APA/Hans Punz

Auch Vorarlberg schnürte am Donnerstag ein Millionenpaket.

Wien Die Einen reden von einem großen Wurf, andere von einem Notfallspaket. Für den Zeitraum 2017 bis 2030 fehlen 76.000 Pflegekräfte, berechnete die Gesundheit Österreich GmbH. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) präsentierte am Donnerstag nun sein großes Pflegepaket. Dafür nimmt die Bundesregierung in den kommenden zwei Jahren eine Milliarde Euro in die Hand. Drei Bereiche werden behandelt: Ausbildung, Attraktivierung des Pflegeberufs und pflegende Angehörige.

“Wir verbessern die Gehälter”, sagte Rauch bei der Pressekonferenz mit den Klubobleuten Sigrid Maurer (Grüne) und August Wöginger (ÖVP) am Donnerstag. 520 Millionen Euro werden in Gehaltserhöhungen fließen. Das betrage durchschnittlich ein Monatsgehalt pro Jahr.

Zeitlich befristete Finanzierung

Die Maßnahmen sind zunächst auf zwei Jahre befristet. Rauch begründete das damit, dass er rasch handeln wollte. Mit Blick auf die Bundesländer meinte er: “Wir wollten nicht auf die Finanzausgleichsverhandlungen warten.” Er räumte zudem ein, dass eine Weiterführung wohl “eine enorme Herausforderung” darstellen werde.

In Vorarlberg gab es ebenfalls am Donnerstag Schritte für eine personelle Verbesserung im Pflegesystem, wie Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) den VN berichtet: „Bereits im vergangenen Jahr haben wir die Nachtdienste mit vier Millionen Euro verbessert. Heute haben wir den Beschluss gefasst weitere fünf Millionen Euro in das Personal zu investieren.“ Die Pflege wird in Vorarlberg über den Sozialfonds finanziert, also Land und Gemeinden. Ziel sei es, so rasch wie möglich geschlossene Betten wieder öffnen zu können. Aber in den kommenden acht Jahren werden 1500 Fachkräfte in der Pflege in Vorarlberg fehlen. Umso mehr begrüßt Wiesflecker das Reformpaket ihres Parteikollegen: „Wir freuen uns sehr, dass es in dieser Dimension jetzt in die Umsetzung kommt.“

Pflegelehre und Pflegestipendium

Österreichweit will Rauch durch folgende Punkte die Personalsituation verbessern: Pro Nachtdienst gibt es zwei Stunden Zeitguthaben. Während der Ausbildung soll jeder einen Zuschuss von 600 Euro im Monat erhalten. Umsteiger bekommen während einer vom AMS geförderten Ausbildung ein Stipendium von 1400 Euro im Monat.

Als Modellversuch wird zudem ab dem Schuljahr 2023/24 eine Pflegelehre eingeführt. In Vorarlberg ist diese schon länger Thema. Wiesflecker betont, dass es sich nur um einen kleinen Puzzlestein handeln kann: „Es fehlen vor allem Diplomierte. Da hilft die Pflegelehre nur begrenzt. Man muss das auch realistisch sehen.“ Die Pflegelehre kann entweder nach vier Jahren mit der „Pflegefachassistenz“ oder nach drei Jahren mit der „Pflegeassistenz“ abgeschlossen werden.

Ein Vorteil sei, so die Soziallandesrätin, dass junge Menschen erreicht werden. Mit der Lehre sei zudem oft eine starke Bindung an Unternehmen verbunden. Aber, so Wiesflecker: „Wenn die Diplomierten fehlen, wer soll denn dann Lehrlinge ausbilden und Assistenzkräfte anleiten?“

Ein weiterer Anreiz für die Berufswahl wird durch mehr Urlaub geschaffen: Ab dem 43. Geburtstag gibt es eine zusätzliche Entlastungswoche. „Und zwar egal wie lang man in diesem Beruf tätig ist – das ist ein Anreiz für Umsteigerinnen“, so Rauch.

„Alles was zu einer Verbesserung der Gehälter und Ausbildungsmöglichkeiten führt, all das führt auch dazu, dass der Beruf für Männer und Burschen interessanter wird“, sagt Ulrike Famira-Mühlberger, Pflegeexpertin beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Sie erinnert daran, dass viele Branchen um Fachkräfte buhlen. Die Konkurrenz sei groß. „Jeder Schritt, der die Arbeitsbedingungen verbessert, ist hilfreich.“

Entlastung für Angehörige

Auf für pflegende Angehörige gibt es einen Bonus: Ab Pflegestufe 4 erhalten sie 1500 Euro pro Jahr. Künftig soll es außerdem für pflegende Angehörige bereits nach drei Tagen Anspruch auf finanzielle Unterstützung für Ersatzpflege geben – statt wie bisher erst nach sieben Tagen.

„Über 80 Prozent der Pflegenden sind Frauen, in der mobilen Betreuung sogar 90 Prozent“, weist Sigrid Maurer hin und ergänzt: “Das sind die Heldinnen unseres Alltags. Klatschen allein reicht nicht. Der Applaus zahlt keine Miete.“ Auch zu Hause werde die Pflege hauptsächlich von Frauen übernommen, und zwar zu zwei Drittel. Das Geld komme daher insbesondere diesen vielen Frauen zugute, so die Grüne Klubobfrau.

Zuwanderung erleichtern

Ausländische Fachkräfte werden die Arbeitserlaubnis (Rot-Weiß-Rot-Card) künftig einfacher erhalten. So fällt die Sprachüberprüfung weg. Gelten soll dies vorerst bis Ende 2023, danach wird evaluiert. Außerdem wird die Bundesregierung die Anerkennung von ausländischen Ausbildungen erleichtern.

Zudem werden die Kompetenzen von Pflege- und Pflegefachassistenz erweitert. Mitarbeiterinnen in der Pflege dürfen künftig Infusionen anschließen und Spritzen geben.

Verbesserungen bei Demenz

Beim Pflegegeld kommt für Menschen mit schweren psychischen Behinderungen und Demenz eine Erhöhung: Ihnen werden 20 Stunden zusätzlich pro Monat für Pflege und Betreuung zur Verfügung stehen. Profitieren sollen davon rund 8500 Betroffene. „Das sind Personen, die viel Betreuung brauchen, auch wenn sie physisch noch zu viel fähig sind. Plakativ ausgedruckt: Es gibt vielleicht Fälle, die sich ein Essen kochen können, aber vergessen den Herd abzudrehen“, sagt die Wifo-Pflegeexpertin.

Im Reformpaket seien nun Punkte, bei denen der Bund schnell tätig werden kann, sagt Famira-Mühlberger. Aber Themen, die in die Finanzausgleichsverhandlungen mit den Ländern fallen, seien „noch Zukunftsmusik“, sagt sie. Dazu zählen Pflegefondsdotierung, Ausbau von Pflegedienstleistungen und Finanzströme in der Pflege. „Es ist jetzt aber einiges gesetzt für die Verhandlungen des Finanzausgleichs. In zwei Jahren wird das Pflegethema zudem eher noch gravierender wegen demographischer Entwicklungen.”