Gesundheitssystem vermisst Daten: “Man tappt im Dunkeln”

Politik / 10.06.2022 • 09:27 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Bei der Medikamentenforschung gibt es Interesse von der Industrie, bei Maßnahmen für einen gesünderen Lebensstil viel weniger. <span class="copyright">APA</span>
Bei der Medikamentenforschung gibt es Interesse von der Industrie, bei Maßnahmen für einen gesünderen Lebensstil viel weniger. APA

Vorhandene Daten versickern ungenutzt. Das schadet Prävention, Forschung und Fortschritt.

Salzburg Tanja Stamm arbeitet an der Zukunft des Gesundheitswesens. Das tut die Wissenschafterin im Zentrum für medizinische Statistik, Informatik und intelligente Systeme der MedUni Wien – und hier wiederum im Institut für Outcomes Research. Das heißt: Sie findet heraus, wie was wirkt.

Da geht es bei Weitem nicht nur um strenge Messgrößen wie klinische Befunde. Es geht darum, was den meisten Patientinnen und Patienten – speziell, wenn sie chronisch krank sind – am wichtigsten ist: mehr Lebensqualität. Stamm will wissen, wie sich welche Therapie oder welche Medikamente für die Patienten anfühlen, um diese Perspektive analysieren und vergleichen zu können. Nur: Es gibt dazu kaum Daten. “Wir bräuchten sie aber, damit wir Aussagen über die Effekte im wirklichen Leben machen können”, sagt sie. Überhaupt tappe man im Gegensatz zu anderen Ländern, die pseudonymisierte Datengrundlagen geschaffen hätten, oft im Dunkeln. So habe man “kaum Daten zum Lebensstil. Österreich könnte viel besser sein in Public Health.”

Wenig Daten, wenig Forschung. Das just im Bereich der Prävention, der durch die Vermeidung von hunderttausendfachem Leid (und entsprechend hohen Kosten) so wichtig wäre, weil zermürbende Langzeitbehandlungen etwa von Arthrosen, chronischen Krankheiten oder schlecht heilenden Wunden entfielen. Prävention sei, wie Stamm sagt, leider oft unattraktiv. Warum? “Es ist schwierig, für solche Studien Geldgeber zu finden.” Darauf sind die jungen Mediziner aber angewiesen, weil sie Punkte für ihre Forschungen sammeln müssen, um ihre Qualifizierungsvereinbarungen zu erfüllen. Also wenden sie sich anderen Themen zu.

Gesundheitssystem vermisst Daten: "Man tappt im Dunkeln"
“Die Wunderpille fürs gesunde Leben gibt’s halt nicht”, sagt Stamm.Meduni Wien

Forschung zu Public Health, also der Gesundheit der Allgemeinheit, hat in Österreich zu wenig Lobby. “Bei der Medikamentenforschung gibt es Interesse von der Industrie, bei Maßnahmen für einen gesünderen Lebensstil viel weniger”, sagt Stamm. Das betreffe alle Gesundheitsberufe. Verstärkt werde das Problem durch zweierlei. Zwar gebe es Daten – hier erhoben von Spitälern, dort von Ländern, da von der Sozialversicherung -, aber sie schlummern oft ungenützt vor sich hin und werden nicht geteilt. Das sei verständlich: Groß sei die Angst vor einem Datenleck – und fraglos sei Datenschutz sehr ernst zu nehmen. “Aber mit der Datenschutzkeule sollte nicht alles erschlagen werden.” Zweitens: Während es in Skandinavien Tradition sei, dass die Patienten mitentscheiden, sei das in Österreich noch viel weniger oft der Fall. Aber: “Die Wunderpille fürs gesunde Leben gibt’s halt nicht”, sagt Stamm. Man müsse schon auch selbst etwas tun, mehr Bewegung machen zum Beispiel. Ein gesünderer Lebensstil wäre die Basis für Prävention. Hilfreich wäre da wohldosierte Motivation. Auch finanzielle Anreize können laut Studien zweckdienlich sein.

PS: Das hat sich in Österreich bisher nur die Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen getraut. Wer regelmäßig zur Gesundenuntersuchung geht und mit dem Arzt vereinbarte Gesundheitsziele erreicht, muss weniger Krankenversicherungsbeiträge zahlen.

In einer gemeinsamen Recherche haben die Salzburger Nachrichten, die Kleine Zeitung und die Vorarlberger Nachrichten die Auswirkungen von Ärztemangel und Zweiklassenmedizin beleuchtet. Die Ergebnisse finden Sie laufend unter www.vn.at, Dieser Text stammt von Inge Baldinger, Salzburger Nachrichten.