EU-Beitritt? Ukraine am Scheideweg

Politik / 19.06.2022 • 19:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Der Krieg bringt Tod und Zerstörung. Die Nato geht nicht mehr von einem schnellen Ende aus. <span class="copyright">RTS</span>
Der Krieg bringt Tod und Zerstörung. Die Nato geht nicht mehr von einem schnellen Ende aus. RTS

Debatte über EU-Kandidatenstatus. Kein schnelles Kriegsende.

Schwarzach Es ist die Zeit der Gipfel. Zuerst treten Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten zusammen, dann folgen Treffen der G7 und der Nato. Vorrangiges Thema ist der Ukraine-Krieg. Ein schnelles Ende der russischen Aggression ist nicht in Sicht. Laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg könnte der Krieg Jahre dauern. Man dürfe aber nicht nachlassen, die Ukraine zu unterstützen.

Die EU-Kommission setzte am Freitag ein entsprechendes Zeichen, indem sie empfohlen hatte, die Ukraine offiziell zum EU-Beitrittskandidaten zu erklären. Dafür braucht es Einstimmigkeit. Während sich Mitgliedsstaaten wie Portugal, Niederlande oder Österreich bis zuletzt skeptisch zeigten, sprach sich etwa Deutschlands Kanzler Olaf Scholz klar dafür aus. Gleichzeitig forderte er aber modernere Strukturen und Entscheidungsprozesse für die EU. „Nicht immer wird alles einstimmig entschieden werden können, was heute einstimmig entschieden werden muss.“ Darüber wolle er beim EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag sprechen.

Fischler: Reform von Beitrittsprozess

Auch der frühere EU-Kommissar Franz Fischler sieht die Notwendigkeit zur Veränderung. „Man wird den Beitrittsprozess generell neu aufsetzen müssen. Es ist nur eine Vermutung, aber in diese Richtung könnte beim EU-Gipfel Ende Juni auch der Auftrag der Mitgliedsstaaten an die EU-Kommission gehen.“ Es werde nicht mehr funktionieren, dass man die Beitrittsverhandlungen zu Ende führt und erst danach die Schritte in Richtung Beitritt setzt. „Der Beitritt sollte im Zuge der Verhandlungen aufgeteilt werden und eine gemeinsame Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen schon früher umgesetzt werden, zum Beispiel im Bereich der Wissenschaft und Forschung, im Bereich der vier Freiheiten oder beim Ausbau der Infrastruktur“, sagt der einstige Kommissar im VN-Gespräch. „Hier könnte vieles möglich sein, ohne dass ein Vollbeitritt vollzogen ist, wenn in den betreffenden Bereichen die Kriterien erfüllt sind. Aber dazu braucht es eine entsprechende Ausarbeitung.“

Fischler: Der Kandidatenstatus wäre ein symbolischer Schritt. <span class="copyright">APA</span>
Fischler: Der Kandidatenstatus wäre ein symbolischer Schritt. APA

Das betreffe auch die Kopenhagenkriterien, welche Beitrittskandidaten erfüllen müssen. Das wichtigste ist, dass der Kandidat die Grund- und Menschenrechte erfüllt. Zweitens, dass er fähig ist, sich am europäischen Markt zu behaupten. Und drittens, dass er in der Lage ist, Recht und Politik der EU zu übernehmen. „In der Ukraine ist man weit weg davon, auch wenn es hoffentlich in absehbarer Zeit zu einem Ende des Krieges kommt. Da wird man andere Sorgen haben, als über die Frage der Binnenmarktregeln zu diskutieren. Um lange Beitrittsverhandlungen wird man generell nicht herumkommen“, hält Fischler fest. Die Beitrittsperspektive sieht er eher als symbolischen Schritt. „Der EU-Kommission geht es auch darum zu zeigen, dass man zur Ukraine steht und man auch Russland gegenüber ein klares Signal setzen möchte.“

Am Ende eine Geldfrage

Wäre die EU für eine Erweiterung überhaupt gerüstet? „Diese Frage reduziert sich darauf, wie viel Geld die EU bereit ist einzusetzen“, hält der frühere Kommissar fest. „Denn alle Länder, die vor der Tür stehen, sind in Zukunft riesige Nettoempfänger. Die Bereitschaft der EU-Mitgliedsstaaten würde sich wohl in Grenzen halten, wenn es darauf ankommt“, glaubt Fischler. Er höre schon jetzt die Argumente, dass noch die Folgen der Klimakrise, von Corona oder des Krieges zu stemmen seien. „Jemandem einen Kandidatenstatus zuzugestehen, ist also die eine Sache, einer Mitgliedschaft zuzustimmen, eine andere.“

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von APA Livecenter angezeigt.