Gesund altern? Fehlanzeige.

Prävention und Früherkennung : In Schweden haben die Menschen zu ihrem 65er 16,2 gesunde Lebensjahre vor sich, in Österreich nur 7,7.
Salzburg Fünf Jahre ist es her, da wurde im Gesundheitsministerium, Ministerin war damals Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), eine 1400 Seiten starke Studie der London School of Economics abgeliefert. Inhalt: Wie effektiv ist das österreichische Gesundheitswesen?
Studienautor Elias Mossialos verlor sich bei der Präsentation erst gar nicht im Dickicht der Probleme, die, würde man sie lösen, Zeit, Leid und Frust ersparen könnten und auch Geld, viel Geld, das sehr gut für Verbesserungen im Gesundheitssystem gebraucht werden könnte. Das Hauptproblem, sagte er klipp und klar, sei ein anderes. Schaffe es die Politik nicht, dass die Menschen länger gesund bleiben, könne man alles andere vergessen: “Dann explodieren die Kosten.”
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Prävention, Früherkennung, Stärkung des Gesundheitsbewusstseins: Dass diese Dinge essenziell dafür sind, möglichst viele der in den vergangenen Jahrzehnten gewonnenen Lebensjahre auch in guter Gesundheit zu verbringen, ist alles andere als eine Neuigkeit. Nur gelingt es in Österreich offenbar nicht. Der Blick auf die (bis zum Vor-Corona-Jahr 2019 reichenden) Eurostat-Daten über die im Alter von 65 noch zu erwartenden gesunden Lebensjahre zeigt: In Österreich sind es 7,7, weniger als halb so viele wie in Schweden (16,2). Österreich liegt klar unter dem EU-Durchschnitt von 10,3.

Schweden steigerte gesunde Lebensjahre
Schweden gelang es, die gesunden Lebensjahre seiner Bevölkerung binnen eines Jahrzehnts (2009-2019) um 3,5 Jahre zu vermehren. In Österreich passierte das Gegenteil: Die ab dem 65er in Gesundheit verbrachten Lebensjahre verkürzten sich um sechs Monate. Das ist insofern bitter, als es seit mehr als einem Jahrzehnt erklärtes politisches Ziel Österreichs ist, die Zahl der gesunden Lebensjahre zu erhöhen. Und es ist insofern brisant, als die Gesundheitsausgaben wenig überraschend stark vom Alter abhängen. 2014 erhobene Daten der Statistik Austria (neuere gibt es nicht) besagen: Für 35- bis 39-Jährige beliefen sich die Gesundheitsausgaben pro Kopf auf damals etwas mehr als 2000 Euro; doppelt so viel waren es bei den 55- bis 59-Jährigen, fünf Mal so viel bei den 75- bis 79-Jährigen. Aus demografischer Sicht ist das alarmierend. Denn so wie in einer Reihe anderer europäischer Länder steht in Österreich ein bisher nie da gewesener Alterungsschub bevor: Der Anteil der Generation 75 plus an der Gesamtbevölkerung wird sich in den kommenden Jahrzehnten aller Voraussicht nach verdoppeln.
Es bleibt also nicht mehr viel Zeit, um abseits der Jungen mehr Alte von morgen von einem gesünderen Lebensstil und mehr Vorsorge zu überzeugen, was ihnen mit etwas Glück eine bessere Zeit im Alter bescheren sollte. Im Gesundheitswesen könnte das Kostensteigerungen drücken, weil früh erkannte Krankheiten besser zu heilen sind und weniger zu chronischen Problemen neigende Spätfolgen von ungesundem Verhalten wie zu vielem Essen, Nikotin oder Alkohol und zu wenig Bewegung behandelt werden müssten.
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“Alle machen etwas, aber unabgestimmt”
Stellt sich die Frage: Warum gelingt in Österreich nicht, was in Schweden und anderen Ländern gelingt? “Wir sorgen nicht strategisch genug dafür, dass die Menschen gesund altern können”, sagt Ökonomin Maria Hofmarcher-Holzhacker. “Es fehlt eine gesamtstaatliche Strategie.” Hier räche sich die totale Kompetenzzersplitterung im Gesundheitswesen exemplarisch. Bund, Länder, Sozialversicherungen: “Alle machen etwas, aber unabgestimmt.” Österreichs Gesundheitswesen sei hervorragend beim Reparieren und wenn es darum gehe, eine schwere Krankheit zu überleben, “aber davor und danach werden die Leute oft alleingelassen”. Nur, sagt Hofmarcher-Holzhacker: “Hier Spital, dort ein ausgedünnter niedergelassener Bereich, und alles andere läuft unter Eigenverantwortungen, das ist zu wenig.”
Das zweite Problem: Es gebe, auch das eine Folge der Fragmentierung im Gesundheitssystem, zu wenige Daten zur Gesundheit der Bevölkerung. Und die, die es gebe, seien zum Teil kaum zu bekommen und schon gar nicht verknüpft. “All die verstreuten Daten zusammenzutragen, hat mich sicher schon zwei gesunde Lebensjahre gekostet”, sagt die Expertin. Das Fatale an diesem Zustand: Keine zügige Datenlieferung, keine raschen Erkenntnisse durch aktuelle Studien, die wiederum Basis für gesundheitspolitisches Handeln sind, und folglich eine überlange Reaktionszeit.
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Höchste gesunde Lebenserwartung in Vorarlberg
Die Lebenserwartung in Gesundheit ist nicht nur in Europa höchst unterschiedlich, sondern auch innerhalb von Österreich. Hier zeigt sich ein ausgeprägtes West-Ost-Gefälle, wie auch die jüngsten Untersuchungen der Ökonomin Maria Hofmarcher-Holzhacker belegen. Erstellt wurden sie u. a. auf Basis von Daten, die 2019 für die Gesundheitsbefragung erhoben wurden: Sie zielen auf das subjektive Gesundheitsgefühl ab. Die starke Abweichung zu den an Eurostat gemeldeten Daten erklärt sich daraus, dass diese auf sogenannten SILC-Erhebungen basieren, bei denen die Fragestellung eine völlig andere ist: Wie sehr sind Sie bei Alltagstätigkeiten eingeschränkt?
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Im Burgenland leben die Menschen zwar fast so lange wie im Rest Österreichs, die Lebenserwartung bei guter Gesundheit ist dort aber mit 63 Jahren am niedrigsten. In Wien fühlt man sich zwei Jahre länger gesund, in Niederösterreich drei; in diesem Rahmen bewegen sich auch die Steirer (65 gesunde Jahre), Oberösterreicher (66) und Kärntner (67). Am längsten gesund fühlt man sich im Westen. Spitzenreiter ist Tirol, wo die Bevölkerung bis ins Alter von 70,5 Jahren fit bleibt, um 7,5 Jahre länger als im Burgenland. Dicht hinter Tirol folgt Salzburg (70,2 gesunde Jahre), danach Vorarlberg (69,5).
Von Arbeitslosigkeit bis Bildung
Viele Faktoren spielen eine Rolle, darunter Arbeitslosigkeit, Bildungsniveau, Wirtschaftsleistung, Mängel in der Versorgung und das eigene Verhalten. Im Burgenland war die Arbeitslosenrate im Untersuchungszeitraum zwar nicht einmal halb so hoch wie in Wien, der Anteil der Übergewichtigen mit 54 Prozent aber österreichweit am höchsten und die Versorgung mit Kassenärzten am niedrigsten. Geraucht wurde knapp unter dem Österreich-Schnitt. Zum Vergleich Tirol: Dort gab es die wenigsten Übergewichtigen (39 Prozent), die Raucherquote lag klar unter dem Schnitt. Die Arbeitslosenrate war halb so hoch wie im Burgenland.
In einer gemeinsamen Recherche haben die Salzburger Nachrichten, die Kleine Zeitung und die Vorarlberger Nachrichten die Auswirkungen von Ärztemangel und Zweiklassenmedizin beleuchtet. Die Ergebnisse finden Sie laufend unter www.vn.at, Dieser Text stammt von Inge Baldinger, Salzburger Nachrichten.
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