Lieber Wahlarzt: „Massenabfertigung passt nicht mehr in die Zeit“

Politik / 27.06.2022 • 06:55 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Lieber Wahlarzt: „Massenabfertigung passt nicht mehr in die Zeit“
“Ich kann mir vorstellen, Kassenpatienten anzuschauen”, sagt Wahlärztin Köppel-Klepp. Köppel-Klepp

Immer mehr Mediziner verweigern eine Kassenpraxis und werden Wahlarzt: Es geht um Lebensqualität und Fakten.

Salzburg Alles probiert, kein Vergleich: Emmerich Zeichen, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, hat drei Karrieren als Spitals-, Kassen- und Wahlarzt gelebt. Kristina Köppel-Klepp hat sich gleich für eine Laufbahn als Wahlärztin für Allgemeinmedizin entschlossen.

Beide Mediziner stehen für eine Absetzbewegung vom herkömmlichen System, das so bedrohlich bröckelt. Warum ist das so?

Zuerst keine Kassenstellen

In den Gesprächen mit den beiden wiederholen sich – wie bei vielen anderen Ärzten, die auf die Wahlarztseite gewechselt sind – die Argumente. Anfangs, vor zehn Jahren (Köppel-Klepp) und vor ein paar Jahrzehnten (Zeichen), sei es noch extrem schwierig gewesen, eine Kassenstelle zu erhalten.

Zeichen, auch in der Ärztekammer engagiert, führte seine Praxis nach der Pensionierung als Wahlarzt weiter. Köppel-Klepp zog die Option, „weil ich sonst keine andere Chance hatte“.

Beide hegen keine Zweifel an ihrer Entscheidung. Die Tarife, die die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) für die Mediziner zahle, erforderten eine hohe Patientenfrequenz.  Experten sprechen von „Massenabfertigung“. Das passe einfach „nicht mehr in die Zeit“.

Bessere Lebensqualität

Zeichen sagt: „Ich sehe, dass meine Lebensqualität als Wahlarzt bedeutend besser ist.“ Er geht davon aus, dass man als Kassengynäkologe im Vergleich doppelt so viele Patienten behandeln müsse wie ein Wahlarzt, um auf die gleichen Umsatzzahlen (im Österreichschnitt: 266.765 Euro plus Extras) zu kommen. Er macht seine Einschätzung auch an der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung fest, die laut Zeichen seit 27 Jahren finanziell vom Ministerium nie angepasst worden sei, obwohl die Untersuchung heute wesentlich aufwendiger sei (Pränataldiagnostik, Aufklärung etc.). „Für eine der fünf Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen erhält man zum Beispiel 18,02 Euro. Ein Wahlarzt verlangt für diese eine Untersuchung rund 100 Euro Pauschale.“ Auch bei den Honoraren der ÖGK krankt es. Bestimmte Leistungen, die medizinisch heute notwendig wären, seien nicht möglich – oder so gedeckelt, dass sie sich für den Kassenarzt nicht rechnen. Und die versprochene Leistungsharmonisierung bei der Gründung der ÖGK war nichts anderes als ein politischer Gag. Zeichen: „Im Schnitt bringt ein Tiroler Kassenschein um fast ein Drittel mehr als ein Kassenschein in der Steiermark.“ Aber die Steirer erhalten 20 bis 30 Euro weniger pro Patientin, und das spürt der Wahlarzt nicht, er hat eine andere Kostenrechnung.“ Sein Vorschlag: „Deckelungen und Limits aufheben, damit Leistungen, die erbracht werden, bezahlt werden.“

Oft bleibt nur die Hälfte

Wie verfahren der Karren ist, lässt sich am Beispiel „Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache zwischen Arzt und Patient als integrierter Therapiebestandteil“ erkennen.  Deckelungen führen dazu, dass von 14,45 Euro Honorar pro Gespräch oft nicht einmal die Hälfte übrig bleibt – brutto. Köppel-Klepp: „Wenn ein Patient mit Halsweh zu mir in die Allgemeinpraxis kommt, dann wäre es ja noch gerechtfertigt. Wenn man aber schwierigere Fälle hat, dann dauert das Gespräch 20, 25 Minuten.“ Beide verwehren sich dagegen, dass Wahlärzte nur die Rosinen herauspicken würden, wie es jetzt in der politischen Diskussion ausgeführt wird – und wie die Politik mit Verboten und Drohungen von und für Wahlärzte spielt. „Ich bin zu vielem bereit“, so Köppel-Klepp. „Ich kann mir vorstellen, Kassenpatienten anzuschauen, Wochenenddienste zu machen, im System mitzuarbeiten. Da bin ich und da sind viele meiner Wahlarzt-kolleginnen und -kollegen dafür offen. Aber so, wie man derzeit mit uns umgeht, so geht das nicht.“

In einer gemeinsamen Recherche haben die Salzburger Nachrichten, die Kleine Zeitung und die Vorarlberger Nachrichten die Auswirkungen von Ärztemangel und Zweiklassenmedizin beleuchtet. Die Ergebnisse finden Sie laufend unter www.vn.at, Dieser Text stammt von Dieter Hubmann (Kleine Zeitung).