Viel Nachholbedarf: “Schwangerschaftsabbrüche sind Teil der Realität”

Die zentrale Frage sei, welche Bedingungen die Gesellschaft betroffenen Frauen bieten möchte, sagt ifs-Beraterin Sandra Walz.
Schwarzach Verzweiflung, Angst und Scham. Das sind die Gefühle, die mit einer ungewollten Schwangerschaft einhergehen, berichtet Sandra Walz vom Institut für Sozialdienste. Sie berät seit vielen Jahren Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen. Dass es noch immer kein entsprechendes Angebot in den Landeskrankenhäusern gibt, versteht Walz nicht. „Die zentrale Frage ist, welche Bedingungen eine Gesellschaft Frauen bieten möchte, unter denen sie den Abbruch machen können.“
Vor welchen Herausforderungen stehen Frauen, die überlegen, ihre Schwangerschaft abzubrechen?
Ich habe noch keine Frau erlebt, die sich die Entscheidung leicht gemacht hat, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Ich erlebe sie immer in stress- und krisenbehafteten Situationen. Die Erkenntnis, ungewollt schwanger zu sein, geht mit Gefühlen der Verzweiflung, Angst und Scham einher. Wenn sich Frauen dann selbstbestimmt für einen Abbruch entscheiden, kommen neue Herausforderungen, zum Beispiel die praktische Umsetzung. Wo kann ich das machen und wieviel kostet es? Natürlich kommen Fragen nach der Methode und Risiken hinzu, nicht zuletzt, ob die Frauen mit Leuten konfrontiert werden, die einen vor der Klinik abwerten und beschimpfen.
Wie reagiert das private Umfeld?
Das ist unterschiedlich. Sehr häufig ist der Partner oder eine Bezugsperson involviert. Genauso häufig behalten es Frauen für sich.
Braucht es ein Angebot im Krankenhaus?
Ich wundere mich, dass es nach rund 47 Jahren Fristenlösung noch kein Angebot in einem Vorarlberger Krankenhaus gibt. Schwangerschaftsabbrüche sind Teil der Realität jeder Gesellschaft. Die zentrale Frage dazu ist, welche Bedingungen eine Gesellschaft Frauen bieten möchte, unter denen sie den Abbruch machen können. Das Angebot muss im Gesundheitsbereich verankert sein und die öffentliche Hand die Strukturen bereitstellen. Die Umsetzung der Fristenlösung muss gesichert sein und das nach den bestmöglichen, neuesten medizinischen Standards. Der Eingriff muss an einem sicheren Ort für die Frauen vorgenommen werden, der ein Stück weit Anonymität bietet. Wenn jedem klar ist, dass ich in ein Gebäude gehe, weil ich mich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden habe, ist das nicht gewährleistet.

Was würde passieren, wenn das Angebot in Vorarlberg wegbricht?
Das hätte zur Folge, dass Frauen ins benachbarte Ausland oder in die anderen Bundesländer auszuweichen haben und das bedeutet für die Frauen Mehrkosten, Mehraufwand und Mehrbelastung.
Warum gibt es in Vorarlberg nur dieses eine Angebot in der Bregenzer Privatklinik? Warum ist ein Angebot im Krankenhaus so umstritten?
Das kann nur die Politik beantworten. Ich kann nur mutmaßen und Hypothesen aufstellen, dass nach wie vor Werte da sind, die das Mutterglück an höchste Stelle setzen und dass eine Frau, die in guter Hoffnung ist, auch in guter Hoffnung zu sein hat. Schlussendlich geht es ebenso um Machtstrukturen. Schwangerschaftsabbrüche sind ein sehr emotional besetztes Thema.
Haben Sie ausreichend Kapazitäten für Beratungen im Land?
Wenn es um einen Schwangerschaftskonflikt und Abbruchberatung geht, bekommt jede Frau bei uns innerhalb von ein paar Tagen einen Termin. Neben uns gibt es weitere Einrichtungen, die den Bedarf abdecken. Es geht auch darum, Informationsmaterial bereitzustellen. Ausbaufähig sind auch sexuelle Bildungsangebote auf niederschwelliger Basis und Verhütungsberatung. Ein kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln wäre wünschenswert, denn ungewollte Schwangerschaften können über wirksame Verhütung reduziert werden.
Sehen Sie die Fristenlösung in Gefahr?
Nein. Aber das Urteil in den USA zeigt, wie schnell alte Werte wieder aufkommen und dass unsere Errungenschaften nicht selbstverständlich sind. Es braucht zwar eine gesellschaftliche Diskussion über dieses Thema, aber nicht über die Fristenlösung selbst. Sie ist eine gute Lösung, bedeutet aber nach wie vor, dass der Schwangerschaftsabbruch eine Straftat ist. Er wird nur durch die Fristenlösung nicht strafrechtlich verfolgt. Eine bessere Lösung wäre, den Schwangerschaftsabbruch ganz aus dem Strafgesetz herauszunehmen. Gleichzeitig müssen wir wie gesagt über die Rahmenbedingungen diskutieren, die wir Frauen anbieten wollen, die sich selbstbestimmt für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben.
Stichwort
Grundsätzlich steht in Österreich auf eine Abtreibung eine Freiheits- oder Geldstrafe, außer der Schwangerschaftsabbruch erfolgt innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft (Fristenregelung). Eine Abtreibung zu einem späteren Zeitpunkt ist nur erlaubt, wenn eine ernste Gefahr für die Schwangere besteht, sie jünger als 14 Jahre ist oder eine schwere geistige oder körperliche Behinderung des Kindes zu erwarten ist. Die Kosten werden von der Sozialversicherung übernommen, wenn der Abbruch aus medizinischen Gründen notwendig ist.
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