Kinderärzte dringend gesucht: Jungärzte lernen in der Praxis

Politik / 10.07.2022 • 09:30 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Kinderärzte dringend gesucht: Jungärzte lernen in der Praxis
Kinderarzt Reinhold Rauscher mit seinem Kollegen und „Lehrling“ Christopher Dalus: Der 35-Jährige arbeitet neun Monate in der Kinderarztpraxis mit.

Ein neues Ausbildungsmodell soll jungen Ärzten den Weg in die Ordinationen schmackhaft machen.

Salzburg Es war eine Woche mit unzähligen erfolglosen Anrufen, bis Nora Thaler schließlich mit ihrem Sohn vor der Ordination ihrer Salzburger Kinderärztin stand. “Wir wurden dann irgendwie dazwischengeschoben und kamen doch noch dran.” Es ist eine Erfahrung, die viele Familien in Salzburg teilen: Am Telefon kommt man beim Kinderarzt kaum durch, die Ordinationen sind voll, die Ärztinnen und Ärzte hetzen von Patient zu Patientin. “Ich mag meine Kinderärztin sehr gern, aber sie ist müde und bedauert die Fließbandarbeit”, sagt Nora Thaler. Viele Bekannte in ihrem Umfeld würden zum Wahlarzt gehen. “Ich frage mich, wie die sich das leisten können.”

Im Bundesland Salzburg gibt es derzeit 17 Kassenkinderärzte und 20 Wahlärzte für Kinder- und Jugendheilkunde. Gleichzeitig sind zwei Kassenstellen in Salzburg nicht besetzt: eine in der Stadt Salzburg und eine zweite in Saalfelden. Dort verrechnet ein Mediziner nur mit den “kleinen” Kassen und es findet sich niemand, der eine Praxis eröffnet, bei der man nur Vertragspartner der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) ist.

Zudem stünden in Salzburg demnächst zwei weitere Pensionierungen von Kassenkinderärzten an, sagt Holger Förster, Sprecher der Kinderärzte bei der Salzburger Ärztekammer: Ein Kollege in Oberndorf würde sofort in Pension gehen, wenn er einen Nachfolger hätte. Ein weiterer Kinderarzt in Hallein geht nächstes Jahr in Pension.

Lehrpraxismodell auch für Kinderärzte

Um jungen Kolleginnen und Kollegen den Weg in die niedergelassene Kinderarztpraxis zu erleichtern, wurde nun das Lehrpraxismodell auch auf Kinderärzte ausgeweitet. In Salzburg können jetzt Kinderärzte, die als Ausbildungsärzte im Krankenhaus tätig sind, für neun Monate in der Ordination eines Kassenarztes mitarbeiten. Sie bleiben im Spital angestellt und machen dort auch noch einzelne Dienste.

Der 35-jährige Christopher Dalus ist der erste Mediziner, der das Modell in Salzburg in Anspruch nimmt. Seit Anfang April arbeitet er in der Praxis von Reinhold Rauscher in Salzburg-Lehen mit. Als er von der Möglichkeit erfahren hatte, wollte er sich die Arbeit als niedergelassener Arzt auf jeden Fall anschauen. “Es ist während der Ausbildung nicht einfach zu entscheiden: Wohin geht der Rest des Lebens.”

Die Arbeit in einer niedergelassenen Praxis sei für ihn jedenfalls eine Option, sagt Dalus – auch wenn sie sich deutlich von der Arbeit im Spital unterscheide. Dort arbeite er derzeit in einer Spezialambulanz, in der Praxis habe er es mit allen möglichen Krankheitsbildern zu tun. Besonders wichtig ist für ihn der Einblick in die betriebswirtschaftlichen Aspekte. “Das ist für mich eine neue Welt, in die man im Krankenhaus nicht hineinsieht.”

Mitarbeit des Kollegen als Bereicherung

Auch für Praxisinhaber Reinhold Rauscher ist die Mitarbeit des jungen Kollegen eine Bereicherung. “Wir arbeiten parallel und besprechen dann die Fälle untereinander. Das ist auch für mich interessant, weil mein Kollege aus seiner Arbeit im Klinikum neues Wissen mitbringt.” Er müsse gegenüber den Patienten immer wieder klarstellen, dass Dalus nicht sein Nachfolger sei: “Es ist ein Lehrpraxismodell und keine Übernahmepraxis.”

Da der Lehrpraktikant neun Monate in der Praxis arbeite, sehe er fast das ganze Betriebsjahr – und bekomme auch die unterschiedlichen Belastungen mit. “Im Jänner und Februar haben wir einen Riesenandrang”, sagt Rauscher. Dafür gebe es dann wieder Monate, in denen weniger los sei.

Er könne die Kinder- und Jugendheilkunde nur weiterempfehlen. “Die Arbeit ist sehr hoffnungsvoll, die meisten unserer Patienten werden gesund.” Zudem schätze er die Arbeit mit jungen Menschen: mit den Kindern und mit den Eltern, die ja auch deutlich jünger seien als der durchschnittliche Patient in so manch anderer Facharztpraxis.

Zeitlich begrenzte Überlastungsphasen

Klar brauche man für die Arbeit in so einer Ordination viel Energie, sagt Kinderärztesprecher Holger Förster. “Wir haben zeitlich begrenzte Überlastungsphasen. Derzeit habe ich etwa viel zu tun und muss 120 Kinder durch die Ordination schleusen.” Da liege es auch an den Medizinern, für eine entsprechende Organisation zu sorgen. Seine Praxis sei telefonisch gut erreichbar, sagt Förster. “Ich habe vier Angestellte, zwei Kolleginnen sind nur am Telefon.”

Auch habe er in einer Praxis viele Patienten, die eigentlich keine ärztliche Hilfe bräuchten. “Viele Eltern kommen und wollen wissen, ob der Schnupfen des Kindes eh nichts Ernstes ist. Rund die Hälfte besetzt Plätze für Patientinnen und Patienten, die wirklich Hilfe bräuchten.”

Insgesamt seien die Kinderärzte in Salzburg nicht überlastet, sagt Förster. “Wir haben im Schnitt 1000 Erstordinationen pro Quartal. Manche Kollegen liegen darunter, manche weit darüber.” Im Vergleich zu anderen Fächern sei das eine geringe Zahl, sagt Förster. So ließe sich auch eine Ausweitung der Kassenstellen nur schwer mit den Sozialversicherungen verhandeln. “Die würden sagen: So überlastet seid ihr auch nicht.” Bei der Ärztekammer hofft man nun, dass das Lehrpraxismodell bundesweit ausgerollt wird – ähnlich wie die Lehrpraxis bei Hausärzten, die auch in Salzburg als Pilotmodell gestartet wurde.

Kinderärzte behandeln 3600 Patienten im Jahr

Wie überlastet sind Salzburgs Kinderärzte wirklich? Hinweise darauf gibt eine Statistik der österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Demnach verrechneten Salzburgs Kinderärzte im Coronajahr 2020 im Schnitt 3606 Fälle mit der ÖGK.

Dieser Wert liegt deutlich unter dem österreichischen Schnitt von 4027 verrechneten Fällen. Am meisten Fälle wurden in Oberösterreich verrechnet (4960), am wenigsten waren es in Niederösterreich (3099).

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Patienten pro Arzt und Jahr laut der Rechnung auch kaum verändert. Im Jahr 2000 waren es 3790 Patienten pro Arzt, 2010 waren es 3931.

Die Zahl aus dem Jahr 2020 ist aber mit Vorsicht zu betrachten, da vor allem während des ersten Lockdowns deutlich weniger Menschen einen Arzt besuchten.

Verglichen mit anderen Ärzten sind diese Zahlen unterdurchschnittlich, sagt Ärztekammersprecher Holger Förster. Das trifft übrigens auch auf das Gehalt der Kinderärzte zu: Laut einer Studie des IHS verdienen niedergelassene Mediziner im Median 143.000 Euro im Jahr, Kinderärzte rund 130.000. Internisten verdienen demnach 229.000.

In einer gemeinsamen Recherche haben die Salzburger Nachrichten, die Kleine Zeitung und die Vorarlberger Nachrichten die Auswirkungen von Ärztemangel und Zweiklassenmedizin beleuchtet. Die Ergebnisse finden Sie laufend unter www.vn.at, Dieser Text stammt von Julia Herrnböck (Salzburger Nachrichten).

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