Van der Bellen zur Regierung: “Es muss mehr weitergehen”

Politik / 19.07.2022 • 16:00 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfing die VN in der Wiener Hofburg zum Sommergespräch. <span class="copyright">Hofburg/Lechner</span>
Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfing die VN in der Wiener Hofburg zum Sommergespräch. Hofburg/Lechner

Der Bundespräsident fordert mehr Tempo und Klartext bei der Krisenbewältigung

Von Gerold Riedmann und Julia Schilly

Wien, Bregenz Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigt im VN-Gespräch die Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Ukrainekrieg auf: Das Verbrennen fossiler Treibstoffe erzeuge nicht nur Treibhausgase, sondern mache Europa auch abhängig. Für die Arbeit der türkis-grünen Regierung findet er durchaus auch kritische Worte: Es müssten rascher Szenarien durchdacht werden, um Inflation und Energiekrise zu meistern.

Herr Bundespräsident, wie geht es Österreich?

Voller Emotionen: einerseits ist der Sommer da, viele sind auf Urlaub, die Badeseen sind voll. Auf der anderen Seite macht die Preisentwicklung den Bürgerinnen und Bürgern große Sorgen und ich kann das sehr gut verstehen. Es gilt nun all jenen unter die Arme zu greifen, die sich ihr Leben nicht mehr leisten können. Solidarität und Zusammenhalt ist das Gebot der Stunde.

Braucht es Preisdeckel auch abseits der Energiepreise?

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hat einen Gipfel vorgeschlagen. Das halte ich für eine gute Idee. Hier sollen Bundesregierung, Opposition, Landeshauptleute, Sozialpartner und Industriellenvereinigung dabei sein. Sie sollen gemeinsam Maßnahmen überlegen, die den Preismechanismus zwar nicht ganz ausschalten, den Leuten aber ausreichend helfen. Den Vorschlag von Wirtschaftsforscher Gabriel Felbermayr für einen Strompreisdeckel finde ich sehr interessant, nun gilt es zu überlegen, wie dieser funktionieren kann.

“Wenn der Gaspreis steigt, steigt auch der Preis fürs tägliche Brot.”

Braucht es auch bei Butter, Brot oder anderen alltäglichen Produkten Preisdeckel?

Das ist ein sehr wichtiges Thema und wir werden uns auch hier etwas einfallen lassen müssen. Energie ist ein Faktor bei zahllosen Produktionsprozessen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bäckereien verwenden im wesentlichen Gas. Und wenn der Gaspreis steigt, steigt auch der Preis fürs tägliche Brot.

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck hat vergangene Woche Wien besucht und deutlicher Bedrohungsszenarien umrissen als zuletzt die österreichische Regierung. Vermissen auch Sie Klartext?

Das muss besser werden, das ist klar. Die Regierung muss rascher reagieren und kommunizieren, vor allem muss einfach mehr weitergehen. Die Bevölkerung weiß, dass Vorhersagen schwierig sind und dass in diesen Zeiten niemand genau sagen kann, was kommt. Trotzdem müssen wir in unterschiedlichen Szenarien und Lösungsoptionen denken, um vorbereitet zu sein. Robert Habeck hat neben seinen Terminen hier auch mit Energieministerin Leonore Gewessler wichtige Vereinbarungen getroffen, etwa dass die Kooperation bei der Gasversorgung zwischen Österreich und Deutschland unter allen Umständen aufrecht bleibt. Das ist vor allem für Vorarlberg und Tirol von besonderer Wichtigkeit, da sie am deutschen Netz hängen.

Van der Bellen zur Regierung: "Es muss mehr weitergehen"
Van der Bellen fordert von der Regierung rascher zu kommunizieren. Hofburg/Lechner

Wie beurteilen Sie die Ankündigung der OMV vergangene Woche, dass sie sich zusätzliche Transportkapazitäten für Gas nach Österreich gesichert hat? Ist damit die Gasnotlage verschoben worden?

Sie ist zumindest etwas unwahrscheinlicher geworden. Durch die Ersteigerung der Pipelinekapazitäten haben wir die Chance, besser über den Winter zu kommen. Generell muss unser Ziel in den nächsten Monaten sein, alles erdenklich Mögliche zu tun, um Österreich gut durch diese schwierige Situation zu bringen. Privatwirtschaft und Politik müssen hier Hand in Hand arbeiten.

„Wir hätten in der Klimapolitik viel früher und rascher vorgehen müssen. Dann stünden wir heute nicht vor dem Problem, so viel fossile Energie zu benötigen.“

Die OMV hat ja auch einen Anteil daran, dass Österreich bei seiner Energieversorgung in hohem Maße von russischem Gas abhängig ist. Wie konnte es dazu kommen?

In der Rückschau ist es klar, dass wir mit der Diversifizierung viel früher beginnen hätten müssen – nicht nur was russisches Gas anbelangt. Wir hätten zudem in der Klimapolitik viel früher und rascher vorgehen müssen. Dann stünden wir heute nicht vor dem Problem, so viel fossile Energie zu benötigen. Andererseits: Wenn Sie Manager sind und mehr als 50 Jahre mit Gazprom Lieferverträge abgeschlossen haben und es nie Probleme gab: Suchen Sie dann verzweifelt nach anderen Lieferanten, wenn sich einer bewährt hat? Ja, das wiegt einen in falscher Sicherheit.

Hätten Sie auf eine raschere Wirkung der Sanktionen gegen Russland gehofft?

Nein, so etwas dauert. Die Sanktionen haben auch schon jetzt Auswirkungen und haben dazu beigetragen, dass die Wirtschaftsleistung Russlands laut Prognosen um neun bis zehn Prozent fällt. Aber das scheint Putin nichts auszumachen. Der russische Präsident führt einen imperialistischen Krieg. Wenn wir das zulassen, dann wird er sich mit der Ukraine nicht begnügen.

Eine Verhandlungslösung mit Putin wäre also nicht möglich?

Selbstverständlich wollen wir, dass der Krieg ein Ende hat. Aber wenn wir jetzt das Signal geben, als Europa ungeeint zu sein, dann wird Putin das dankbar zur Kenntnis nehmen und sich seinen nächsten Angriff überlegen.

Van der Bellen zur Regierung: "Es muss mehr weitergehen"
Van der Bellen fordert, auch in die Aufrüstung der Diplomatie zu investieren. Hofburg/Robert Lechner

Wohin wird uns die Debatte rund um Österreichs Neutralität führen, die zuletzt wieder angeheizt wurde?

Es ist im Gedächtnis Österreichs fest verankert, dass 1955 der Punkt war, als das Land unabhängig und frei wurde, namentlich von den Besatzungstruppen. Im Gegenzug hat Österreich die immerwährende Neutralität versprochen. Mit diesem innen- und außenpolitischen Auftrag sind wir in den letzten Jahrzehnten hervorragend gefahren. Gleichzeitig schützt uns die Neutralität nicht. Belgien war auch neutral und die Deutschen haben das im zweiten Weltkrieg ignoriert. Was ich wie ein Mantra seit fünfeinhalb Jahren predige, ist, dass unser Militär einen immensen Ausrüstungs-Nachholbedarf hat. Nur ein Beispiel: Es wurden jetzt endlich italienische Hubschrauber bestellt als Ersatz für die Alouette. Sie waren 40 bis 50 Jahre in Betrieb.

“Neutralitätspolitik ohne ausreichend Diplomaten wird auf die Dauer nicht funktionieren.”

Können Sie das beziffern, was es Ihrer Meinung nach an Budget braucht?

Es würde mich freuen, wenn wir uns in den kommenden fünf Jahren dem einen Prozent des BIPs nähern. Das nächste ist aber das Budget des Außenministeriums. Neutralitätspolitik ohne ausreichend Diplomaten wird auf die Dauer nicht funktionieren. Wir müssten in die Aufrüstung der Diplomatie investieren und damit Österreichs Ansehen in der Welt stärken.

Hat die ÖVP ein Korruptionsproblem?

Das Sittenbild, das sich uns in diesen sogenannten Chats offenbart hat, ist erschreckend. Ich bin gegen jede Art von Korruption. Jetzt müssen die Vorwürfe aufgeklärt werden, das ist gar keine Frage. Und da wünsche ich mir einerseits mehr Geschwindigkeit und andererseits auch volle Kooperation aller Beteiligten.

Haben Sie zuletzt Kontakt zu Landeshauptmann Wallner gehabt?

Kurz bevor er seine Auszeit verkündet hat. Die Vorwürfe rund um den Wirtschaftsbund müssen natürlich aufgeklärt werden. Was ich schon dazu sagen muss: Die persönlichen Anfeindungen gegen Politiker und deren Familie müssen aufhören. Ich weiß von einzelnen Fällen, in denen Bürger Briefe an die Privatadressen schreiben und da stehen Morddrohungen gegen die Familie drin. Wir brauchen eine politische Auseinandersetzung, aber nicht auf dieser persönlichen Ebene.

“Die russische Politik zeigt uns glasklar , dass die Verfeuerung von fossiler Energie nicht nur klimaschädliche Treibhausgase erzeugt, sondern uns auch insgesamt abhängig macht.”

Eine Krise scheint angesichts von Teuerung und Energiekrise in den Hintergrund zu rücken: Die Klimakrise. Sollte die Regierung hier wieder stärken ihren Fokus drauflegen?

Die russische Politik zeigt uns glasklar, dass die Verfeuerung von fossiler Energie nicht nur klimaschädliche Treibhausgase erzeugt, sondern uns auch insgesamt abhängig macht. Und das werden wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern ändern. Es ist kein Zufall, dass sich die Prioritätensetzungen vorrübergehend verschoben haben. Selbst Politiker wie Habeck oder Gewessler denken daran, Kohlekraftwerke in Betrieb zu nehmen, um bei Storm einen Puffer zu haben. Hier sehen wir, wie ernst die Situation ist. Eine Dauerlösung kann das mit Sicherheit nicht sein.