Wirtschaftsminister hält Lebensmittelpreisdeckel für populistisch

Im VN-Interview sprach der Wirtschaftsminister über den “nur gut gemeinten” Energiegutschein, den Strompreisdeckel, Wohlstandsverlust und die Arbeitslosengeldreform.
Birgit Entner-Gerhold, Andreas Scalet
Bregenz Der Wohlstandsverlust ist angekommen, sagt Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher im VN-Interview. Den Vorschlag eines Rechnungsdeckels für eine gewisse Basismenge an Strom hält er für sinnvoll, ebenso die CO2-Bepreisung. Der Energiegutschein sei rückblickend lediglich gut gemeint gewesen. Die Reform des Arbeitslosengeldes komme nach dem Sommer. Die Notstandshilfe bleibe bestehen.
Befinden wir uns schon mitten im Wohlstandsverlust?
Die gesamte Gesellschaft verliert an Wohlstand, wenn importierte Preise stark steigen. Klar ist, dass diejenigen, die ohnehin schon Schwierigkeiten haben, mit ihrem Geld im Laufe des Monats auszukommen, besonders betroffen sind. Aber das Antiteuerungspaket, das jetzt umgesetzt wird, bezieht das schon in die Überlegungen mit ein.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr hat einen Basisfreibetrag bei den Stromrechnungen vorgeschlagen. Ist das ein Strompreisdeckel unter anderem Namen?
Der Vorschlag eines Rechnungsdeckels, wo eine gewisse Basismenge an Strom preisreduziert abgegeben wird, halte ich prinzipiell für sinnvoll. Aber es gibt eine Reihe von praktischen Problemen.
Bis wann kommt die Umsetzung?
Die Vorbereitung wäre für Herbst/Winter gedacht, wenn die Preise weiter steigen.
War der Energiegutschein rückblickend der falsche Weg?
Der Energiegutschein war der gut gemeinte Versuch etwas relativ rasch zustande zu bringen, hat im Nachhinein betrachtet aber nicht so perfekt funktioniert. Wir haben aber immer den Zielkonflikt zwischen möglichst raschem Handeln, bei dem möglicherweise etwas zustande kommt, wie der Energiegutschein. Oder wir tun etwas sehr treffsicher und praktikabel in der Umsetzung, das dauert aber länger.

Kommt die CO2-Bepreisung im Oktober?
Die Argumentation war immer, dass die CO2-Bepreisung zeitgleich mit dem Klimabonus kommen soll, das wird im Oktober der Fall sein. Es ist richtig das zu tun. Aber es kann unwahrscheinliche Szenarien geben, die so dramatisch sind, dass sie eine andere Entscheidung erfordern.
Die chemische Industrie fordert einen klaren Notfallplan sollte es zum Gaslieferstopp kommen, der IV-Präsident fordert ihn auch. Gibt es einen Notfallplan?
Es gibt zwei Institutionen, die für die Energielenkung verantwortlich sind, das ist das Energieministerium und die E-Control. Es gibt natürlich laufend Gespräche über Szenarien für unterschiedliche Gaslieferstopps. Diese kann man aber nicht öffentlich führen, weil man nicht so einfach sagen kann, dass Firma X und Firma Y zu einem gewissen Zeitpunkt kein Gas mehr bekommen. Wenn man wirklich in die Rationierung gehen müsste, vertraue ich darauf, dass im Energieministerium detaillierte Informationen da sind und mit den Unternehmen entsprechend kommuniziert wird. Da sind wir aber jedenfalls noch nicht.
Ein solcher Plan betrifft aber auch ihre beiden Ministerien ganz ursächlich.
Die Eckpunkte sind ja auch klar. Es gibt bevorzugte Bereiche: Haushalte, kritische Infrastruktur, der Bereich der Stromproduktion, Lebensmittelproduktion. Dann gibt es ganz spezifische Maßnahmen, die nur im Worst Case Szenario eintreten. Und jetzt in der Öffentlichkeit nur über den Worst Case zu reden, macht auch keinen Sinn.

Wird es wieder eine Art Corona-Kurzarbeit geben?
Die aktuelle Kurzarbeit funktioniert für normale Zeiten relativ gut und sie ist für den Herbst sicher eine erste gute Variante. Würde es monatelang einen Gaslieferstopp geben, bräuchte es aber möglicherweise wieder eine andere Variante, damit die Unternehmen die Mitarbeiter nicht kündigen müssen.
Ist die Gewinnabschöpfung von besonderen Krisengewinnern noch ein Thema?
Die Frage ist, wo das passieren könnte und müsste. Auf Bundesebene wird es beim Verbund eine Sonderdividende geben. Er hat auch die Rechnungen für die Verbraucher reduziert. Es gibt auch andere Landesenergieversorger, die ähnliche Modelle entwickeln. Was bleibt dann noch an Unternehmen, die wirklich sogenannte Übergewinne machen? Man muss sicher über alles diskutieren, aber im Moment sehe ich nicht, wie man das einfach und rasch umsetzen kann.
Gibt es eine Handhabe bei den Mineralölkonzernen?
Der Wirtschaftsminister könnte laut Preisgesetz tätig werden, wenn die Nettopreise in Österreich stärker steigen als in anderen Ländern. Wir warten jetzt auf die Antwort der Raffinerien, warum die Differenz zwischen den Preisen an der Tankstelle und den Preisen auf Rohöl deutlich gestiegen ist. Die Konzerne haben bis 27. Juli Zeit, das zu erklären.

Kann der Staat bei Lebensmittelpreisen eingreifen?
Das ist eine populistische Forderung. Das hat nie funktioniert. Dann gibt es einfach kein Angebot mehr, weil die preisreduzierte Ware nicht mehr verfügbar ist. Ein Preisdeckel heißt in den meisten Fällen auch, nicht sozial treffsicher zu sein, weil jene, die mehr konsumieren, auch mehr vom Preisdeckel profitieren.
Die Notstandshilfe wird vorerst nicht valorisiert. Ist das in der aktuellen Lage nicht zynisch?
Ich verstehe das Argument, dass die Menschen, die länger in Arbeitslosigkeit sind, auf Grund der Teuerung große Schwierigkeiten haben. Deswegen gibt es spezielle Maßnahmen im Antiteuerungspaket für diese Gruppe und deshalb werden wir bei einer Reform des Arbeitslosengeldes darüber sprechen, wie wir das ausgleichen können. Aber das erste Ziel muss immer sein, Arbeitssuchende möglichst rasch in Beschäftigung bringen.
Wie lang wird es noch dauern, bis die Reform vorliegt?
Wir wollen mehr fördern, aber gleichzeitig, die Möglichkeiten des geringfügigen Zuverdienstes reduzieren. Die Leistung soll zu Beginn höher sein und über die Zeit abnehmen. Das muss in ein Gesamtpaket passen, wofür wir über den Sommer eine Lösung finden wollen.
Steht die Notstandshilfe generell in Frage?
Nein, das haben wir ausgeschlossen. In dieser Reform ist klar, dass die Notstandshilfe, so wie sie jetzt existiert, grundsätzlich bestehen bleibt.
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