US-Botschafterin Kennedy zu Sanktionen: „Kein Kampf, den wir angestrebt haben”

Österreich nehme auch als neutrales Land eine wichtige Rolle innerhalb der Europäischen Union ein, sagt Victoria Kennedy.
Magdalena Raos und Gerold Riedmann
Bregenz Victoria Kennedy findet klare Worte bezüglich des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Auch das neutrale Österreich nehme vor diesem Hintergrund in Europa eine wichtige Rolle ein, betont die Diplomatin. Was den wirtschaftlichen Austausch mit den USA angeht, hebt sie das heimische Modell der Lehrausbildung hervor. Diesbezüglich lasse sich viel von Österreich lernen.
Seit Anfang 2022 sind Sie US-Botschafterin in Österreich. Was ist Ihre Zwischenbilanz?
Es war fantastisch. Besucher aus den USA sagten zuletzt: Du hast den Botschafter-Jackpot geknackt. Ich habe geantwortet, dass das definitiv stimmt.

Im Februar hat Russland die Ukraine angegriffen. Die USA haben bei Sanktionen und Waffenlieferungen eine führende Rolle eingenommen. Wie stufen Sie Österreichs Rolle als neutrales Land ein?
Die österreichische Regierung hat diese ungerechtfertigte und nicht provozierte Aggression von Wladimir Putin gegen die Ukraine deutlich verurteilt. Österreich nimmt auch eine wichtige Rolle innerhalb der Europäischen Union ein, in ihrer Einheit und Solidarität gegen diese schreckliche, brutale Vorgangsweise.
Haben die Europäer unterschätzt, wie schmerzhaft die Sanktionen für sie selbst sein können?
Jeder wusste, dass es sich um ein gemeinsames Opfer handelt. Das war kein Kampf, den wir angestrebt haben. Im Vorfeld wurde alles an diplomatischen Versuchen unternommen, was möglich war, doch Diplomatie braucht Ehrlichkeit auf beiden Seiten. Von Wladimir Putins Seite war das nicht der Fall. Die längste Zeit sprach er von Übungen. Dabei war das Ziel, in die Ukraine einzufallen. Nun befinden wir uns im fünften Monat dieser brutalen Aggression. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus hat gerade davor gewarnt, dass Putin eine Annexion weiterer Teile der Ukraine planen könnte.
Reichen die aktuellen Strafmaßnahmen oder braucht es weitere?
Das wird immer wieder neu evaluiert. Eines muss klar sein: Die Sanktionen haben einen deutlichen Effekt. In ihrer Schwere sind sie präzedenzlos.
Österreich ist von NATO-Ländern umgeben. Finnland und Schweden sollen bald neue Mitglieder werden. Ist die österreichische Sicherheitsperspektive naiv?
Dabei handelt es sich um eine Entscheidung, die innerhalb Österreich getroffen werden muss. Ich verstehe das österreichische Empfinden zur Neutralität. Es handelt sich um starkes Mitglied der EU. Für die USA sind diese internationalen Allianzen ein Grundstein der nationalen Sicherheitsarchitektur.

Das war unter dem früheren Präsident Donald Trump nicht ganz klar.
Das muss ich zurückweisen. Rhetorik und Handlung sind zwei verschiedene Dinge. Die USA und Europa haben enge Beziehungen. Und diese Beziehungen spiegeln sich auch in den wirtschaftlichen Verbindungen wider.
Das Freihandelsabkommen TTIP ist praktisch gescheitert. Sehen Sie eine Möglichkeit für einen Neustart?
Ich habe nichts darüber gehört, dass die Gespräche über das Handelsabkommen wieder aufgenommen werden könnten. Allerdings gibt es nun den Handels- und Technologierat TTC zwischen den USA und der EU, das ist eine wichtige Entwicklung. Ihm gehören Arbeitsgruppen aus verschiedenen Ländern an, die versuchen, Probleme aus dem Weg zu räumen, bevor sie überhaupt entstehen. Die US-Zölle auf Stahl und Aluminium wurden Thema, sobald Präsident Joe Biden ins Amt kam. Es wurde an einer vertretbaren Lösung gearbeitet. Ich glaube, die Unternehmen sind daher zuversichtlich.
Das Urteil des Supreme Courts zum Abtreibungsrecht war für viele Menschen in Österreich eine Überraschung.
Es war für viele in den USA ebenfalls eine Überraschung. Unter der Biden-Administration wurde ein Dekret verabschiedet, um alles zu tun, was auf Bundesebene möglich ist, um den Zugang zu Abtreibung zu gewährleisten. Festzuhalten ist: Der Supreme Court hat sie nicht verboten. Er hat gesagt, dass es den Bundesstaaten obliegt. Natürlich ist das ein Rückschritt, wir stehen nicht mehr dort, wo wir in den letzten 50 Jahren waren. Doch die Biden-Administration, der Präsident tut alles, um Frauen und ihre Entscheidungen zu schützen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Wir sind eine Demokratie, bestehend aus 50 Staaten. Es wird ein langer Kampf in manchen von ihnen. Andere haben bereits Schritte gesetzt, um die entsprechenden Rechte zu gewährleisten.

Zu den wirtschaftlichen Beziehungen: Wie könnte der Innovationstransfer zwischen den USA und Österreich gestärkt werden?
Es gibt bereits einen regen Austausch von Unternehmen. Österreich ist der am zweitschnellsten wachsende Direktinvestor in die USA. Es gibt auch viele Austauschprogramme. Wir können viel voneinander lernen. Diesbezüglich sollte man auch eine Vereinbarung zwischen Österreich und den USA zur Lehrausbildung erwähnen. Das österreichische Modell ist von großem Interesse.
Innerhalb Österreichs gilt es als Vorarlberger Modell.
Da sind wir also (lacht). Derzeit findet ein Austausch von Ideen statt. Wir planen auch Besuche von zuständigen Regierungsmitgliedern, damit sie sich die österreichischen Ausbildungsprogramme direkt ansehen können. Zuvor gab es bereits Treffen mit Unternehmern, die darüber informiert haben.
Victoria Reggie Kennedy
wurde am 26. Februar 1954 in Crowley, Louisiana, geboren. Im Jänner 2022 trat Kennedy wurde 1954 in Crowley, Louisiana, geboren. Im Jänner 2022 trat Kennedy ihren Posten als US-Botschafterin in Österreich an. Sie ist Witwe des langjährigen demokratischen US-Senators Edward „Ted“ Kennedy (1932 – 2009), der jüngere Bruder des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy. Schon bevor sie Edward Kennedy kennenlernte, galt sie als prominente Anwältin. 1997 wurde sie politische Beraterin ihres Mannes. Sie setzte sich auch selbst für politische Anliegen ein, etwa Waffenkontrolle und Frauenrechte.