Putins Vasallen?
Zwei berühmte Zitate haben Hochkonjunktur. Jenes von Ingeborg Bachmann, wonach die Wahrheit dem Menschen zumutbar sei, erfährt durch den deutschen Wirtschaftsminister Habeck und dessen schonungslose Darstellung seine Bestätigung. Spätestens seit Habecks Wien-Besuch müsste sich das auch bis zu unserer Politik herumgesprochen haben. Hat es aber nicht. Der Kanzler beliebt zu schweigen. Die grüne Umweltministerin beschwichtigt und kann sich nicht einmal zu einem Bekenntnis zu Tempo 100 durchringen.
„Also soll die Ukraine gefälligst Land abtreten, damit der Krieg zu Ende ist?“
Anders der Bundespräsident. Dessen Rede in Bregenz hat das Zeug, in die Geschichtsbücher einzugehen, wie einst Rudolf Kirchschlägers saure Wiesen, die trockengelegt werden müssten. Van der Bellens Worte haben natürlich mit dem Wahlkampf zu tun. Dass jemand Aufsehen erregt, bloß weil er die Wahrheit sagt, verrät viel über die Furcht unserer Politiker, dem Volk reinen Wein einzuschenken, um ja nichts Falsches zu sagen. Die Rede hat auch von den Medien viel Applaus bekommen. Ein Detail: Als er sagte, es gebe einige, die sich Neuwahlen wünschten, klatschten zaghaft drei Leute. Aber er setzte fort mit dem Bekenntnis, dass er seine Verantwortung darin sehe, Monate völliger Unregierbarkeit zu vermeiden, weshalb die Regierung das tun müsse, wofür sie gewählt wurde: „Arbeiten, arbeiten, arbeiten“. Donnernder Applaus im Saal.
Auch das zweite Zitat habe ich schon früher verwendet: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ (Bert Brecht). NZZ-Chefredaktor Eric Gujer hat schon vor Wochen (!) die provokante Frage gestellt: Soll man mit Putin Frieden schließen, um im Winter nicht frieren zu müssen? Auch bei uns ist die Stimmung zum Ukraine-Krieg am Kippen. Nur ein Drittel hält die Sanktionen für richtig, ein weiteres Drittel für „teils, teils“.
Fakt ist, dass die Sanktionen den Krieg derzeit nicht beenden und Zeit brauchen. Russlands Wirtschaft schrumpft heuer um 15 Prozent, die Inflation liegt bei 20 Prozent. Den Firmen fehlen wichtige Güter, die Vorräte sind aufgebraucht, Hunderttausende, vor allem gut Ausgebildete, haben Russland verlassen. Hunderte Firmen haben sich aus Russland zurückgezogen, das Land verspielt gerade 30 Jahre Fortschritt. Aber ja, auch wir spüren die Sanktionen massiv: Inflation, Energie ist teuer wie nie, wir sollen 15 Prozent Energie einsparen, in Deutschland werden schon Hallenbäder geschlossen.
Also soll die Ukraine gefälligst Land abtreten, damit der Krieg zu Ende ist? Gujer dazu: „Appeasement (also Zugeständnisse) hat den unbestreitbaren Vorteil, dass man sich unbequeme Entscheidungen ersparen und etwas Zeit kaufen kann.“ Aber ob dann die Energielieferungen sicher seien, hänge allein von den Launen des Mannes im Kreml ab. Wenn er sehen sollte, dass Europa bereitwillig nachgibt, werde er immer wieder zur Rohstoffwaffe greifen. Erpresser sollte man nie bezahlen. Oder mit des Bundespräsidenten Worten: „Es ist unerträglich, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, sich zum unterwürfigen Verbündeten eines Diktators zu machen. Wir sind nicht Putins Vasallen.“
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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