Vergiftete Praline
Staatliche Organe sind nur insoweit zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet, als das im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, des wirtschaftlichen Interesses von Körperschaften öffentlichen Rechts, der Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse von Verfahrensbeteiligten geboten ist. Dieses an sich flexible und mit einfachem Gesetz weiter einschränkbare Amtsgeheimnis ist durch bornierte Handhabung mancher Behörden in Misskredit geraten. Wer eine Auskunft begehrt, kann sich gegen eine missbräuchliche Verweigerung nicht wirklich zur Wehr setzen.
„Der Verfassungsgerichtshof soll an die Leine genommen werden.“
Dem wollte die türkis-grüne Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm unter dem Motto von Transparenz und Informationsfreiheit ein Ende setzen, Hinsichtlich der Ausnahmen von der Informationsverpflichtung hätte sich nicht viel geändert, wohl aber wäre die Durchsetzbarkeit berechtigter Informationsbegehren verbessert worden. Seit eineinhalb Jahren wird dieses Vorhaben von einem Schreibtisch auf den anderen und die Schuld am Stillstand auf die Länder und Gemeinden geschoben. Im Windschatten ihrer Bedenken hinsichtlich eines beachtlichen Mehraufwands stehen aber auch zahlreiche Bundesministerien auf der Bremse. Es hindert auch niemand die Bundesregierung daran, die Informationsfreiheit in einem ersten Schritt für sich selbst einzuführen und den Skeptikern zu zeigen, dass der Fortschritt nicht mit großen Mehrkosten verbunden ist. Man wird den Eindruck nicht los, dass Länder und Gemeinden als vorgeschobenes Argument der Bundesregierung herhalten müssen. Man muss sich nur vor Augen halten, dass Ministerien gegenüber dem Parlament Unterlagen selbst dann unleserlich machen, wenn der Sachverhalt ohnedies schon öffentlich bekannt ist.
Dazu kommt, dass im Informationsfreiheitsgesetz eine vergiftete Praline für den Rechtsstaat verpackt ist. Ohne dass es Gegenstand des Regierungsprogramms gewesen wäre (vielleicht stand es in einem Sideletter), sollte der Verfassungsgerichtshof an die Leine genommen werden – so empfinden es jedenfalls auch seine Mitglieder selbst. Wenn das Abstimmungsverhalten seiner Mitglieder bekannt wird, entsteht bei uns (anders als in Deutschland üblich) Druck auf von der entsendenden Partei abweichende Meinungen und es gibt Entscheidungen erster und zweiter Klasse – einstimmig oder nur mit allenfalls knapper Mehrheit. Das ist eine Änderung der Spielregeln für den Verfassungsgerichtshof, die man eher in Polen oder Ungarn vermuten würde. Aber vielleicht ist dieses Vorhaben mit seinem Erfinder, Bundeskanzler Sebastian Kurz, inzwischen ohnedies bereits in der Versenkung verschwunden. Wenn man vor einer Entscheidung über das Informationsfreiheitsgesetz weiterhin zurückschreckt, fällt das auch gar nicht weiter auf.
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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