Gesetzgebung in der Pandemie: Schneller und gerade rechtzeitig

Politik / 15.08.2022 • 18:30 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Gesetzgebung zu Beginn der Pandemie mit Sicherheitsabstand. Die Klubs stimmten sich deshalb ab, welche Abgeordneten zu den Abstimmungen gehen. Und wer daheim bleibt. <span class="copyright">APA/Georg Hochmuth</span>
Gesetzgebung zu Beginn der Pandemie mit Sicherheitsabstand. Die Klubs stimmten sich deshalb ab, welche Abgeordneten zu den Abstimmungen gehen. Und wer daheim bleibt. APA/Georg Hochmuth

Die Qualität der Gesetze hat in den vergangenen Jahren gelitten, bilanziert Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Daten der Universität Wien zeigen, dass häufiger ein schnelleres Gesetzgebungsverfahren angewandt wurde.

Wien Es war ein historischer Sonntag, als der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an das Rednerpult im Nationalrat trat und die ersten Covid-bedingten „Ausgangsbeschränkungen“ verkündete. Am 15. März 2020 wurde Österreichs „Notbetrieb“ präsentiert: Restaurants und viele Geschäfte mussten kurz darauf schließen. Veranstaltungen wurden untersagt. Den eigenen Haushalt zu verlassen, war nur noch aus bestimmten Gründen erlaubt. Doch die gesetzliche Grundlage für all diese Infektionsschutzmaßnahmen gab es an besagtem 15. März noch gar nicht – die musste erst in einem „einzigartigen“ Gesetzgebungsverfahren, wie es Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) damals nannte, geschaffen werden.

Fünf Sitzungen von Nationalrat, Bundesrat und Budgetausschuss an einem Wochenende waren notwendig. Erstmals in der Geschichte tagte das Parlament an einem Sonntag, um dem Gesundheitsminister die weitreichenden Verordnungsermächtigungen zu gewähren. Doch die Parteien griffen noch auf einen anderen Trick zurück: Anders als bei anderen größeren Projekten der Bundesregierung wurde der Gesetzentwurf nicht als Regierungsvorlage ins Parlament eingebracht, sondern als Initiativantrag von Abgeordneten. Der Vorteil: Die normalerweise mehrwöchige Begutachtung des Gesetzes konnte entfallen – der Beschluss konnte rascher gefällt werden. Nun zeigen Daten der Universität Wien, dass dieses abgekürzte Verfahren in der Pandemie überdurchschnittlich oft angewandt wurde: Worunter die Qualität litt.

“Just in time”

Konkret zeigt die Auswertung eines Kurses der rechtswissenschaftlichen Fakultät – Philipp Wörle und Vasilije Skopelja führten die Analyse durch -, dass in den vergangenen Jahren der Großteil der Gesetzesänderungen auf Bundesebene auf Initiativanträgen (seit 2019 im Schnitt: 49%) und weniger auf Regierungsvorlagen (42%) basierte. Während das 2019 wohl noch mit der spontan ausgerufenen Neuwahl, dem darauffolgenden „Freien Spiel der Kräfte“ und einer Bundesregierung Bierlein, die nur zwei Entwürfe ins Parlament brachte, zu erklären ist, sorgte ab 2020 die Pandemie für neue Wege in der Gesetzgebung.

Verfassungsjurist Peter Bußjäger sieht die rasche Gesetzgebung im Gespräch mit den VN kritisch: „Demokratiepolitisch ist das auf jeden Fall heikel. Das Problem ist, dass das Instrument der parlamentarischen Initiative von der Regierung dafür genutzt wurde, die Gesetzgebung noch weiter zu beschleunigen.“

Dafür sei dieses Instrument aber gar nicht gedacht, erläutert Bußjäger, denn: „Im Grunde konnte sich dadurch kaum jemand mit der erforderlichen Muße mit der Sache auseinandersetzen. Verschärft wurde diese Problematik dadurch, dass Abgeordnete irgendeinen Antrag eingebracht haben und mit einem Abänderungsantrag in den Ausschussberatungen daraus dann etwas inhaltlich komplett anderes wurde.” Während Pandemie und Finanzkrise sei die Regierung also zu einer Art Just-in-Time-Gesetzgebung übergegangen: „Alles muss zum richtigen Zeitpunkt passen. In einer Krisensituation besonders.“

Gesetzesänderungen (Initiativantrag/Regierungsvorlage)

2012: 9% / 86%

2013: 11% /82%

2014: 12% / 76%

2015: 4% / 90%

2016: 7% / 87%

2017: 34% / 61%

2018: 4% / 94%

2019: 59% / 28%

2020: 48% / 44%

2021: 46% / 47%

Zurück zur Normalität

Natürlich sei es logisch, dass gewisse klassische Schritte in der Gesetzgebung – wie eine vierwöchige Begutachtung – nicht mehr umzusetzen waren, so Bußjäger, aber: „Die Qualität der Gesetze hat dadurch eindeutig gelitten. Man denke nur an die x-malige Änderung des Covid-19-Maßnahmengesetzes, wo die Regierung immer wieder der Realität hinterhergerannt ist, um irgendwie ein neues Phänomen einzufangen.“

Deshalb sei auch aus parlamentarischer Sicht eine neue Normalität notwendig: „Wenn der Gesundheitsminister sagt, dass wir mit Corona leben müssen, dann muss auch der Gesetzgeber lernen, mit Corona zu leben.“ Die Pandemie könne nicht immer wieder als Rechtfertigung gelten, irgendwelche Änderungen auf die Schnelle durchzupeitschen: „Wir müssen zu dem zurück, was Richtlinien und Konsultationsmechanismen wollen: Nämlich, dass das Parlament vier Wochen Zeit hat, sich mit einer Gesetzesänderung auseinanderzusetzen.“ Julia Schilly, Maximilian Werner