Der holprige Weg zurück

Lula liegt nach erstem Wahlgang für Brasiliens Präsidentenamt vorn.
Brasilia Nach seiner Stimmabgabe in São Bernardo do Campo, wo er als Gewerkschaftsführer einst seine politische Karriere begann, küsst Lula den Wahlzettel. „Vor vier Jahren war ich am Wahltag gefangen. Nun bin ich in Freiheit, wähle und habe die Möglichkeit, wieder Präsident dieses Landes zu werden“, sagt der brasilianische Ex-Präsident. Der Triumphzug, auf den alle Umfragen zuletzt hingedeutet hatten, bleibt der so populären wie umstrittenen Ikone der Linken allerdings verwehrt.
Nur knapp gewinnt Luiz Inácio Lula da Silva am Sonntag die erste Runde der Präsidentenwahl in Brasilien. Der frühere Staatschef (2003-2010) kommt auf 48,28 Prozent der Stimmen. Der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro erhält 43,32 Prozent. Weil keiner der Kandidaten über 50 Prozent der Stimmen holt, treten Lula und Bolsonaro nun am 30. Oktober in einer Stichwahl gegeneinander an. In den Umfragen lag Lula zuletzt zweistellig vorn. Nach Einschätzung von Experten bekannten sich viele Befragte nicht zu ihren tatsächlichen Favoriten oder entschieden sich erst am Wahltag.
Freudig in den Wahlkampf
„Ich habe immer daran geglaubt, dass wir diese Wahl gewinnen werden. Das ist für uns nur eine Verlängerung“, sagt Lula nach der Bekanntgabe der Ergebnisse. „Zum Missfallen einiger habe ich jetzt weitere 30 Tage, um Wahlkampf zu machen. Ich liebe Wahlkampf und ich beginne morgen damit.“
Trotz des Rückschlags im ersten Wahlgang ist Lulas Comeback eine erstaunliche Wendung. Vor vier Jahren saß er noch wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt hinter Gittern. Auch damals führte er in den Umfragen, konnte wegen seiner Haftstrafe aber nicht an der Präsidentenwahl teilnehmen. Später wurde das Urteil aus formalen Gründen kassiert. Lula kam frei und startete im Pensionsalter noch einmal durch. Der heute 76-Jährige war erst Schuhputzer, dann Gewerkschaftsführer und schaffte es schließlich in den Präsidentenpalast. Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 modernisierte der „Präsident der Armen“ die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas und verbesserte die Lebensbedingungen von Millionen armer Brasilianer mit dem Programm „Fome Zero“ (Null Hunger) und der Familiensozialhilfe.
Aufgeheizte Stimmung
Die Wahl hat das Land extrem polarisiert, aus politischen Gegnern wurden erbitterte Feinde. Lula nannte Bolsonaro wegen dessen zögerlicher Corona-Politik einen Völkermörder, Bolsonaro schimpfte seinen Kontrahenten nach dessen Verurteilung wegen Korruption einen Dieb. In den vergangenen Monaten wurden mindestens drei Lula-Anhänger von mutmaßlichen Bolsonaro-Fans getötet. Die Unterstützer des Amtsinhabers forderten bereits vor der Wahl immer wieder unverhohlen einen Militärputsch gegen das Parlament und die Justiz, die Bolsonaro öfter in die Schranken wiesen.
„Die Mehrheit der Gesellschaft will keine Konfrontation, sie will Frieden“, sagt Lula am Sonntag nach der Stimmabgabe. „Wenn die Leute sich nicht daran halten wollen und das Gesetz missachten, dann ist das ihr Problem. Aber ich denke, es wird uns leicht fallen, Demokratie und Frieden in diesem Land wiederherzustellen.“
Um in der Stichwahl gegen Bolsonaro zu bestehen, muss Lula nun das Vertrauen der Unentschiedenen der Mitte zurückerlangen.