Änderungen an Menschenrechtskonvention als “billigste Anlasspolitik”

Politik / 16.11.2022 • 05:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Änderungen an Menschenrechtskonvention als "billigste Anlasspolitik"
Unter anderem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Obhut über die Europäische Menschenrechtskonvention inne. REUTERS/Vincent Kessler

Die Landesparteiobleute der ÖVP und Klubobmann Wöginger stoßen in der Asyldebatte eine Diskussion über die EMRK an.

WIEN Nicht ganz vier Jahre ist es her, dass der damalige Innenminister Herbert Kickl – heute Parteichef der FPÖ – die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hinterfragte. Im Jänner 2019 meinte Kickl, man müsse darauf achten, bei der Abschiebung von Flüchtlingen nicht über die eigenen Gesetze zu stolpern: Vielfach seien das “irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele, viele Jahre alt aus ganz anderen Situationen heraus entstanden”. Der politische Aufschrei – bis hinauf zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen – war groß.

Nun zeichnet sich diese Debatte erneut in Österreichs Innenpolitik ab. Auslöser war eine Aussage von August Wöginger, der im Interview mit dem „Standard“ Kritik am europäischen Asylrecht äußerte: „Auch die Menschenrechtskonvention gehört überarbeitet.“ Mittlerweile sei man in einer anderen Situation, „als es vor ein paar Jahrzehnten der Fall war, als diese Gesetze geschrieben wurden“, argumentierte der Klubobmann der ÖVP im Nationalrat.

Länder widersprechen Regierung

Welche Aspekte der Menschenrechtskonvention Wöginger genau überarbeiten wolle und ob er sich hier auch einen Alleingang Österreichs vorstellen könne, wollte der ÖVP-Klub auf VN-Anfrage nicht beantworten. Auch auf die Absage von Vertreterinnen der Bundesregierung – Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) bezeichneten die EMRK als „nicht verhandelbar“ – reagierte die Sprecherin nicht. Stattdessen verwies sie auf die Aussagen verschiedener Landesparteiobleute der Volkspartei.

Diese unterstützen Wögingers Vorstoß größtenteils, auch wenn sie fast unisono betonten, an Menschenrechten im Allgemeinen nicht rütteln zu wollen: „Die Auslegung der EMRK durch manche Gerichte hat mit dem Grundgedanken aber oft nur mehr wenig zu tun“, erklärte jedoch etwa Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Ihr Vorarlberger Amtskollege, Markus Wallner, schlug in eine ähnliche Kerbe. An den Grundsätzen der Konvention sei „nicht zu rütteln“, die über die Jahre gewachsene Rechtssprechung bereite aber Schwierigkeiten.

Unverständnis bei Politologin

Den Vorstoß nicht nachvollziehen kann Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle: “Menschenrechte sind unteilbar und unverhandelbar.” Diese Garantie sei ein Konsens der Demokratie, neben freien Wahlen und einem funktionierenden Rechtsstaat. Auch politisch könne sie den Schritt nicht nachvollziehen, betont sie gegenüber deN VN: “Da gibt es überhaupt keine Scheu, billigste Anlasspolitik zu machen.” Es sei natürlich nicht Aufgabe der Politik, “vor einer vermeintlichen Mehrheitsmeinung und der Angst vor der FPÖ” zu kapitulieren. Dieses in Frage stellen von Menschenrechten sei ein zutiefst populistischer Zug: “Ich verstehe auch nicht, warum alle den Zorn den Wählerinnen und Wähler fürchten. Ich glaube schon, dass in Österreich viele dafür sind, dass man Flüchtlingen hilft.”

Die EMRK gilt für alle Menschen und steht in Österreich im Verfassungsrang. Andreas Müller, Völkerrechtsexperte an der Universität Innsbruck, betont aber, dass die Themen des aktuellen Vorstoßes gar nicht im Rahmen der Menschenrechtskonvention zu diskutieren wären, sondern Teil des gesamten EU-Asylrechtes seien. Die kritisierte Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei bereits in den 1980er-Jahren erstmals getroffen worden und Teil des “Europäischen Selbstverständnisses”. Die Umsetzung der vermeintlichen Zielvorstellung sei im Moment aber undenkbar: “Die EMRK ist ein Vertrag von 46 Staaten. Für eine Änderung bräuchte es politischen Willen, der so nicht existiert”, erklärt er den VN.

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