Rakete in Polen kam wohl aus der Ukraine

Politik / 16.11.2022 • 16:36 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Die Polnische Polizei und Zivilschutz sichert die Einschlagsstelle. <span class="copyright">Wojtek RADWANSKI / AFP</span>
Die Polnische Polizei und Zivilschutz sichert die Einschlagsstelle. Wojtek RADWANSKI / AFP

Die NATO hat nach Angaben ihres Generalsekretärs Jens Stoltenberg keine Hinweise darauf, dass der tödliche Raketeneinschlag in Polens Grenzgebiet zur Ukraine ein vorsätzlicher Angriff war.

Brüssel, Warschau Nach vorläufigen Analysen sei der Vorfall wahrscheinlich durch eine ukrainische Flugabwehrrakete verursacht worden, sagte Stoltenberg nach einer Dringlichkeitssitzung am Mittwoch in Brüssel. Es gebe keinen Hinweis auf einen Angriff auf Polen, sagte auch der polnische Präsident Andrzej Duda.

Einen sogenannten Bündnisfall nach Artikel 5 sieht die Allianz demnach nicht. “Wir haben keine Hinweise darauf, dass das ein beabsichtigter Angriff war”, sagte Stoltenberg. “Aber was wir wissen ist, dass der wahre Grund für den Vorfall der russische Krieg in der Ukraine ist.” Die Ermittlungen seien zwar noch nicht abgeschlossen. “Das ist aber nicht die Schuld der Ukraine.” Russland müsse diesen “sinnlosen Krieg” beenden. “Die NATO bereit ist zu handeln in einer entschlossenen, ruhigen und resoluten Art.”

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Duda hatte kurz zuvor ebenfalls erklärt, dass es sich um keinen gezielten Angriff auf das NATO-Land gehandelt habe. “Nichts, absolut nichts, deutet darauf hin, dass es sich um einen absichtlichen Angriff auf Polen handelte”, betonte Duda. “Was passiert ist, nämlich dass eine Rakete auf unser Territorium fiel, war keine vorsätzliche Handlung. Es war keine gezielte Rakete, die auf Polen gerichtet war.” Nach bisherigen Erkenntnissen sei die Flugabwehrrakete eine S-300 aus russischer Produktion, die in den 70er-Jahren hergestellt wurde.

Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats gab Duda Entwarnung für die polnische Bevölkerung. Es bestehe derzeit keine “eindeutige oder bekannte direkte Gefahr” für das Land und seine Bürger, sagte der polnische Präsident in Warschau. Es gebe außerdem auch keine Signale dafür, dass sich ein derartiges Ereignis wiederholen könnte.

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Am Ort der Explosion in dem polnischen Dorf Przewodow seien Trümmer eines solchen Flugabwehrgeschosses gefunden worden, schrieb Polens Justizminister Zbigniew Ziobro am Mittwoch auf Twitter. Dieses werde sowohl von der russischen als auch von der ukrainischen Armee eingesetzt. “Vor Ort arbeitet ein Team aus polnischen Staatsanwälten und technischen Sachverständigen. Auch amerikanische Experten waren dort.”

Die Ukraine bat um Zugang zur Einschlagstelle. Die Ukraine strebe eine gemeinsame Untersuchung des Vorfalls an und wolle Einsicht in Informationen, aufgrund derer westliche Länder zu dem Schluss kämen, dass es sich um eine ukrainische Abwehrrakete gehandelt habe, sagte Olexij Danilow, Sekretär des nationalen Sicherheitsrats der Ukraine.

Dieses Bild, das von der polnischen Polizei veröffentlicht wurde, zeigt Forensiker an der Einschlagsstelle, etwa sechs Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt.<span class="copyright"> HANDOUT / POLISH POLICE / AFP</span>
Dieses Bild, das von der polnischen Polizei veröffentlicht wurde, zeigt Forensiker an der Einschlagsstelle, etwa sechs Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. HANDOUT / POLISH POLICE / AFP

Nach Angaben der polnischen Regierung war am Dienstag eine “Rakete aus russischer Produktion” in ein Getreidedepot im ostpolnischen Przewodow sechs Kilometer von der Grenze entfernt eingeschlagen. Nach Feuerwehrangaben wurden dabei zwei Menschen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb getötet. Russland hatte in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine am Dienstag einen massiven Raketenangriff auf die Energieversorgung des Landes durchgeführt. Nach ukrainischer Zählung feuerten die russischen Streitkräfte mehr als 90 Raketen sowie Kampfdrohnen ab. Für etwa zehn Millionen Menschen fiel zeitweise der Strom aus.

Auch US-Präsident Joe Biden hatte zuvor erklärt, es sei unwahrscheinlich, dass diese Rakete in Russland abgefeuert wurde, und von einem Zwischenfall an der polnischen Grenze zur Ukraine durch eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehr-Rakete gesprochen.

Ein Lkw der polnischen Sicherheitskräfte (Der Kreis mit dem blauen Dreieck gibt es als Fahrzeug des Polnischen Zivilschutzes aus) auf dem Weg zur Einschlagstelle. <span class="copyright">AP Photo/Evgeniy Maloletka</span>
Ein Lkw der polnischen Sicherheitskräfte (Der Kreis mit dem blauen Dreieck gibt es als Fahrzeug des Polnischen Zivilschutzes aus) auf dem Weg zur Einschlagstelle. AP Photo/Evgeniy Maloletka

Die Ukraine reagierte mit der Feststellung, Russland sei für jeden Raketen-Zwischenfall verantwortlich. Der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, betonte in einer schriftlichen Stellungnahme, es könne nur an einer Logik festgehalten werden, und die laute, dass der Krieg von Russland begonnen worden sei und von Russland geführt werde.

Russland habe mit dem Vorfall nichts zu tun, erklärte der Kreml am Mittwoch. “Wir haben eine weitere hysterische, wahnsinnige russophobe Reaktion erlebt, die nicht auf echten Fakten beruht”, sagte der Sprecher des Präsidialamts, Dmitri Peskow, vor Journalisten in Moskau.

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Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew warnte auf Twitter: “Die Geschichte mit den ukrainischen ‘Raketenschlägen’ auf eine polnische Farm beweist nur eins: Der Westen erhöht durch seinen hybriden Krieg gegen Russland die Wahrscheinlichkeit für den Beginn des Dritten Weltkriegs.”

Der polnische Grenzschutz verstärkte seine Patrouillen. Deutschland bot Polen Unterstützung bei der Sicherung seines Luftraums an. Deutsche Eurofighter könnten “bereits ab morgen” zum Einsatz kommen, “wenn Polen dies wünscht”, sagte ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums am Mittwoch in Berlin.

Polizei nahe der Einschlagsstelle. <span class="copyright">Wojtek RADWANSKI / AFP</span>
Polizei nahe der Einschlagsstelle. Wojtek RADWANSKI / AFP

In Estland kam die Regierung zu einer außerordentlichen Kabinettssitzung zusammen. Ministerpräsidentin Kaja Kallas rief danach dazu auf, die Ukraine mehr zu unterstützen. Es sei klar, dass der Raketeneinschlag ohne den umfassenden Angriffskrieg Russlands gegen Polens Nachbarland Ukraine nie stattgefunden hätte. “Der einzige Schuldige an diesem Krieg ist Russland.”

Auch der britische Premierminister Rishi Sunak gab Russland die grundsätzliche Schuld. “Das Wichtigste ist, anzuerkennen, warum die Ukraine Raketen einsetzen muss, um ihr Heimatland zu verteidigen”, sagte Sunak am Mittwoch am Rande des G20-Gipfels. “Es muss sein Heimatland gegen eine illegale und barbarische Angriffsserie Russlands verteidigen.”

Die NATO verstärkte seit Februar die Truppenpräsenz an der Ostflanke zu Russland. Hier deutsche Soldaten bei einer Übung in Estland Ende Oktober. <span class="copyright">REUTERS/Lisi Niesner</span>
Die NATO verstärkte seit Februar die Truppenpräsenz an der Ostflanke zu Russland. Hier deutsche Soldaten bei einer Übung in Estland Ende Oktober. REUTERS/Lisi Niesner

Sehr ähnlich äußerte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. “Diese Menschen wären nicht ums Leben gekommen, würde es diesen brutalen russischen Angriffskrieg nicht geben”, sagte Baerbock am Mittwoch nach Ankunft bei der Weltklimakonferenz in Ägypten.

China rief unterdessen zur Zurückhaltung auf. Alle Parteien sollten unter den gegenwärtigen Umständen ruhig bleiben und Zurückhaltung üben, sagt die Sprecherin des Außenministeriums, Mao Ning, in einer turnusmäßigen Pressekonferenz.

Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mahnte “Besonnenheit” ein. “Besonnenheit ist gerade in Zeiten des Krieges das Gebot der Stunde”, sagte Nehammer nach dem Ministerrat am Mittwoch in Wien. Gleichzeitig verurteilte er die Raketenangriffe Russlands “aufs Schärfste”.