Gesundheitsministerium: Fachliche Begründungen für Covid-Verordnungen bleiben geheim

Politik / 09.12.2022 • 14:40 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Im November 2021 verkündete die Bundesregierung den vierten Lockdown, begründet mit der dramatischen Situation in den Spitälern. Die genauen Begründungen für die Covid-Verordnungen bleiben aber verborgen.<span class="copyright">Reuters/Leonhard Foeger</span>
Im November 2021 verkündete die Bundesregierung den vierten Lockdown, begründet mit der dramatischen Situation in den Spitälern. Die genauen Begründungen für die Covid-Verordnungen bleiben aber verborgen.Reuters/Leonhard Foeger

Eine Anfrage der Vorarlberger Nachrichten blieb für über sechs Monate unbeantwortet, nun liegt das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Wien Am 14. November 2021 verkündete der damalige Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) den „Lockdown für Ungeimpfte“, eine Woche später mussten auch alle anderen in einen Lockdown. Die Bundesregierung begründete das mit den steigenden Zahlen in der Corona-Pandemie und der – zweifellos dramatischen – Situation in den Spitälern. Auf welchen medizinischen Erkenntnissen die freiheitsbeschränkenden Verordnungen der Gesundheitsminister aber genau basierten, ist bis heute unklar: Die fachlichen Begründungen, die der Krisenstab im Gesundheitsministerium zu jeder Covid-Verordnung erstellt, werden nicht von Haus aus veröffentlicht.

Journalisten als “Public Watchdogs”

Die Vorarlberger Nachrichten interessieren sich aber dafür und fragten Ende Dezember 2021 um Übermittelung der fachlichen Begründungen für 13 Covid-Verordnungen zwischen Oktober und Dezember 2021 an. Laut Auskunftspflichtgesetz hätte das Gesundheitsministerium auf die Anfrage binnen acht Wochen reagieren müssen, das passierte aber erst über sieben Monate später im August 2022. Es interpretierte die Anfrage als „Antrag auf Akteneinsicht“, der sei vom Auskunftspflichtgesetz nicht umfasst. Gegen den Bescheid legten die Vorarlberger Nachrichten Beschwerde ein und beriefen sich auf ihre Rolle als „Public Watchdogs“: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach Journalisten in der Vergangenheit ein besonderes Recht auf Zugang zu Informationen zu.

Gesundheitsministerium: Fachliche Begründungen für Covid-Verordnungen bleiben geheim
Die fachlichen Begründungen für Covid-Verordnungen – unter anderem Lockdowns – werden bis heute nicht offengelegt. APA/GEORG HOCHMUTH

Die Bescheidbeschwerde legte das Gesundheitsministerium mittlerweile dem Bundesverwaltungsgericht vor. Das muss entscheiden, ob die Auskunftsverweigerung gerechtfertigt war. Das Ressort übermittelte außerdem eine Stellungnahme, in der es abermals seine Gründe darlegte: Die fachlichen Begründungen seien nur zur Überprüfung der jeweiligen Covid-Verordnungen durch den Verfassungsgerichtshof erstellt worden. Und vom Auskunftspflichtgesetz seien die Erwägungen für Entscheidungen nicht umfasst.

“Auf ausländische Behörden zu verweisen, obwohl wir selbst geographisch relevantere und möglicherweise bessere Daten hätten, wirkt absurd. In einer modernen Demokratie ist es inakzeptabel, dass man Informationen nur dann kommuniziert, wenn man das will.”

Markus Hametner, Datenjournalist, Vorstandsmitglied “Forum Informationsfreiheit”

Verweis auf Behörden im In- und Ausland

Markus Hametner, Vorstandsmitglied des „Forum Informationsfreiheit“, der die VN im Fall mit Einschätzungen unterstützt, kann außerdem zwei weitere der genannten Gründe nicht nachvollziehen. Zum einen würden Teile der angegebenen Daten in den fachlichen Begründungen in anderen Quellen zur Verfügung stehen, das Gesundheitsministerium erwähnt hier neben der nationalen AGES auch Behörden in Deutschland oder den USA. „Auf ausländische Behörden zu verweisen, obwohl wir selbst geographisch relevantere und möglicherweise bessere Daten hätten, wirkt absurd“, bilanziert der Datenjournalist, der selbst bereits Rechtsstreite gegen das Gesundheitsministerium führte.

Außerdem, so das Gesundheitsministerium in der Gegenschrift, würden gar keine gesetzlichen Geheimhaltungsgründe gegen eine Auskunftserteilung sprechen, aber: „In Anbetracht der aufgeheizten medialen Situation scheint eine Übermittelung an Journalisten nicht zweckmäßig.“ Eine Veröffentlichung der Fachinformationen würde immer auch eine „‘Interpretation‘ durch medizinische und juristische Laien in sozialen Medien“, wie insbesondere Twitter, nach sich ziehen. Diese „Instrumentalisierung“ wäre nicht wünschenswert, argumentiert das Gesundheitsministerium.

Gesundheitsministerium: Fachliche Begründungen für Covid-Verordnungen bleiben geheim
Unter anderem verweigert das Gesundheitsressort die Information wegen der “aufgeheizten medialen Situation”, wie hier bei einer Covid-Demonstration in Wien im November 2021. APA/FLORIAN WIESER

Öffentliche Debatte ohne fachliche Grundlagen

Hametner bezeichnet das gegenüber den VN als „Informationspolitik nach Gutsherrenart“. Es sei „in einer modernen Demokratie inakzeptabel, dass man Informationen nur dann kommuniziert, wenn man das will“. Auch das Argument der „aufgeheizten medialen Situation“ ist für ihn nicht nachvollziehbar: „Wenn die Behörde Fakten festgestellt hat, die ihrer Meinung nach für ihre Entscheidungen gereicht haben, sollte sie die zur Verfügung stellen. Die Qualität der öffentlichen Diskussion sollte sich dadurch verbessern.“ Es klinge fatal, „wenn die Behörde sagt, dass die Debatte schlechter werden würde, wenn sie ihre Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung stellt“.

Die Diskussion könnte man sich mit einem Informationsfreiheitsgesetz, das die Bundesregierung seit mehr als eineinhalb Jahren angekündigt hat, außerdem ersparen, bilanziert Hametner: „In so einem Gesetz wäre klargestellt, dass man Dokumente, die bei der Behörde liegen, anfragen darf.“ Durch höchstgerichtliche Judikatur wäre das zwar bereits jetzt für Medien sichergestellt, „die Behörde ist aber offenbar der Meinung, dass das nicht eindeutig genug war”.

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