Hickhack zwischen EU und der Schweiz

Politik / 11.12.2022 • 18:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Hickhack zwischen EU und der Schweiz
Vor dem Parlament in Bern plädieren Aktivisten für ein wirksames Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz. Im EU-Parlament macht das Abgeordnete Claudia Gamon (r.). REUTERS/Arnd Wiegmann, EP/Alexis HAULOT

“Die sichergestellte teilweise Integration der Schweiz in den Binnenmarkt dürfte zunehmend erodieren”, glaubt Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink. EU-Abgeordnete Claudia Gamon hat keine große Hoffnungen auf ein neues Rahmenabkommen.

Bern, Brüssel Das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz war schon einmal besser. Das Rahmenabkommen ist gescheitert. Die Integration der Schweiz in den europäischen Binnenmarkt dürfte zunehmend erodieren, hält Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP) Ende Juni in einer Anfragebeantwortung an den FPÖ-Mandatar Hubert Kinz fest. Erste Folgen machen sich bemerkbar.

So viele Abkommen werden nicht mehr aktualisiert

Ohne Rahmenvertrag werden die über 100 bestehenden Abkommen zwischen EU und Schweiz nicht mehr aktualisiert. Neue Abkommen gibt es nicht. Manche laufen aus. „Wenn die Schweiz in den wesentlichen Bereichen nicht bereit ist, auf uns zuzugehen, wird es fast unmöglich, die Verhandlungen wieder aufzunehmen“, erklärt EU-Abgeordnete Claudia Gamon (Neos), die stellvertretende Vorsitzende der Delegation des EU-Parlaments für die Beziehungen zur Eidgenossenschaft ist. „Die Schweiz muss die wesentlichen Freiheiten der EU akzeptieren. Das ist das Ticket zum Binnenmarkt.“

„Von zunehmenden technischen und produktspezifischen Handelshemmnissen ist auszugehen.“

Landesstatthalterin Barbara-Schöbi Fink (ÖVP) über ein fehlendes Rahmenabkommen.

Streit um Freizügigkeit

Gerade die mangelnde Akzeptanz war das Problem. Die Eidgenossen hatten etwa darauf beharrt, Streitfragen zur Personenfreizügigkeit aus dem EU-Rahmenvertrag zu nehmen. Die EU lehnte dies ab, während die Schweizer Bedenken zu drohender Zuwanderung und befürchtetem Lohndumping äußerten. Außerdem sollte EU-Recht in gewissen Bereichen auf die Schweiz übergehen und in Streitfragen der Europäische Gerichtshof das Sagen haben. Hier bangten die Eidgenossen um ihre Souveränität. Sie lehnten es auch ab, die Streitschlichtung auf verschiedene Gremien aufzuteilen: „Die Schweizer haben gesagt, dass sie keine ‘fremden Richter’ akzeptieren“, erinnert sich die Abgeordnete.

Jetzt liegt alles auf Eis. Mitte November berichtete die Schweizer Staatssekretärin und EU-Chefunterhändlerin Livia Leu zwar von neuen Gesprächen. Differenzen bestünden aber weiterhin, zum Beispiel bei der Personenfreizügigkeit. „Wenn die Schweiz enger mit der EU zusammenarbeiten will, muss sie auch bereit sein, einen Schritt in unsere Richtung zu machen“, betont Gamon. „Das Problem ist: Sie würden das EU-Rahmenabkommen nicht beim Stimmvolk durchbringen. Aber es ist auch Aufgabe der Politik, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, welchen Wert die europäischen Beziehungen für die Schweiz haben.“

„Will sie mehr oder weniger Zusammenarbeit? Wenn sie mehr will, muss sie sich ändern. Wenn die Schweiz Zugang zum EU-Binnenmarkt haben möchte, muss sie sich auch an die EU-Gesetzgebung anpassen.“

Claudia Gamon, Abgeordnete zum Europäischen Parlament

Wichtigster Handelspartner

Die EU ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Anders als Norwegen, Island und Liechtenstein ist das Nicht-EU-Mitglied Schweiz auch kein Mitglied des europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Die Schweizer entschieden sich 1992 mit einer knappen Mehrheit dagegen. Das Schweizer Recht wurde danach durch sogenannte bilaterale Verträge de facto an EU-Recht angepasst – ein Kompromiss, der allerdings laufende Anpassungen an neue Gesetze und EU-Richtlinien erfordert. Die Verhandlungen zum sogenannten Rahmenabkommen ab 2014 sollten Abhilfe schaffen, damit europäische Gesetze sowie Normen auf den Gebieten Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, technische Handelshemmnisse und Landwirtschaft automatisch auch für die Schweiz gelten. 2018 lag ein finaler Vertragsentwurf zum Rahmenabkommen vor. 2021 kam es dann aber zum Abbruch. 

„Natürlich hat ein fehlendes Rahmenabkommen Konsequenzen: Es würde ja den grenzüberschreitenden Handel hürdenloser und fließender machen. Wenn hier Stück für Stück was wegfällt, wirkt sich das negativ aus“, erklärt Gamon. Erste Auswirkungen spürt die Wissenschaft. Forscherinnen und Forscher bekommen in der Schweiz künftig praktisch kein EU-Geld mehr. Bei dem großen Programm „EU-Horizon“ gilt die Eidgenossenschaft nur noch als „nicht-assoziierter Drittstaat“. Gleichzeitig gelten die gegenseitige Anerkennung und die damit verbundenen Erleichterungen beim Handel mit Medizinprodukten im Verhältnis zwischen EU und Schweiz nicht mehr. „Von zunehmenden technischen und produktspezifischen Handelshemmnissen ist auszugehen“, sagt auch Schöbi-Fink. Schließlich stünden weitere Änderungen bei EU-Vorschriften an, etwa bei der Maschinenrichtlinie oder der Bauprodukteverordnung.

Keine Änderungen beim Zoll

Das Freihandelsabkommen fällt laut Landesstatthalterin hingegen nicht unter das Rahmenabkommen. Dieses regelt eine Freihandelszone für Industrieprodukte und landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse und baut tarifäre Handelshemmnisse ab. „Auswirkungen auf die Zollabfertigung sind außerdem nicht bekannt.“

Unterm Strich geht es bei den Verhandlungen mit der Schweiz aber nicht mehr um technische Details, sondern um politischen Willen. „Will sie mehr oder weniger Zusammenarbeit? Wenn sie mehr will, muss sie sich ändern. Wenn die Schweiz Zugang zum EU-Binnenmarkt haben möchte, muss sie sich auch an die EU-Gesetzgebung anpassen“, beteuert Gamon. In den kommenden Monaten erwartet sie allerdings keine Bewegung. Schließlich wird im Herbst 2023 in der Schweiz gewählt. „Nur wenige Parteien trauen sich dazu zu bekennen, dass sie mehr Zusammenarbeit wollen.“

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