Vorarlbergerin berichtet aus Lwiw: Der beinahe unsichtbare Krieg

Im Westen der Ukraine ist die Lage entspannter. Aber der russische Angriffskrieg hinterlässt auch hier seine Spuren.
Cristina Coellen aus Lwiw
Lwiw Lwiw ist dieser Tage vor allem eins: patriotisch. Von den Flaggen ganz zu schweigen, sind an den Häuserwänden der größten westukrainischen Stadt Trysub-Graffiti – der ukrainische Dreizack und Symbol der Nation – zu finden. Mädchen verkaufen in den Straßen blau-gelbe Bändchen, die die Leute an ihre Taschen heften. Neben der Oper hängt ein gigantisches Werbeplakat mit der Aufschrift: „2023 – das Jahr des Sieges und der guten Dinge“ an einem Haus. Auf der Autobahn kurz vor Lwiw ist eine Brücke blau-gelb mit der Aufschrift „Djakujemo heroiam“ („Wir danken den Helden“) bemalt.

Zerbrechliche Normalität
Daneben geht jedoch vor allem der Alltag weiter. Schon nach wenigen Wochen Krieg hatte sich Lwiw vom ersten Schrecken erholt. Die Stadt, die nur 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt, ist bis heute weitgehend von Angriffen verschont geblieben. So ist eine zerbrechliche Normalität entstanden, in der die Einwohner Weihnachtsgeschenke kaufen gehen, die Hipster-Cafés in der Altstadt gut gefüllt sind, und alte Männer auf den Parkbänken vor der Oper trotz der Kälte Schach spielen.
Selbst dann, wenn der Krieg stärker spürbar wird, lässt sich keiner der Lwiwer Bürger sonderlich aus der Fassung bringen. „Bei Luftalarm geht hier keiner mehr in den Keller“, meint Iryna Matwijischin, eine Journalistin aus Lwiw, die für das englischsprachige Medium The Kyiv Independent arbeitet. „In Kyjiw ist das anders, dort kann es wirklich gefährlich werden.“
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Fliegeralarm und Alltag
Der Krieg ist aber nicht ganz verschwunden. Erst am Wochenende ertönte wieder Fliegeralarm. Vor allem zeigt er sich in der Präsenz der ukrainischen Soldaten überall in den Straßen. Viele von ihnen haben gerade Fronturlaub und gehen mit ihren Familien spazieren, ihre kleinen Kinder auf dem Arm. Für andere geht es wieder zurück in den Krieg. Vor dem Lwiwer Bahnhof steht an einem verregneten Morgen eine ganze Einheit und wartet auf den Abmarsch.
Nicht nur an den Menschen selbst hinterlässt der Krieg seine Spuren. Vor den administrativen Gebäuden Lwiws sind Barrieren und Sandsäcke aufgetürmt. Die Fenster der Museen und Kirchen – die man alle besuchen kann – wurden mit Holz- oder Aluplatten verbarrikadiert, um sie vor Schäden durch Explosionen zu schützen. Öfters fällt in einigen Vierteln der Strom aus, Straßenlaternen funktionieren nicht und vor den meisten Geschäften brummen Dieselgeneratoren in der Lautstärke von Presslufthammern, um die Energieversorgung zu gewährleisten.

„Wärme, Wasser, Wifi“
Im Iwan-Franko-Park hat die Stadt aufgrund der labilen Infrastruktur ein Notfallzelt eingerichtet, in dem es „Wärme, Wasser, Wifi“ für diejenigen gibt, die von Stromausfällen betroffen sind. Dabei ist die Situation insgesamt noch nicht kritisch. „Bei mir zuhause gibt es regelmäßig keinen Strom mehr“, erzählt Sviatlana, eine Informatikerin aus Winnitsja, die für ein Konzert nach Lwiw gekommen ist. In Lwiw sei die Lage im Vergleich zum Rest des Landes noch am besten.
