Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Über den Unsinn

Politik / 19.02.2023 • 16:47 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Schon jetzt hat er gute Chancen, das politische Unwort des Jahres zu werden: der SNU. Kreiert hat ihn die Mannschaft um den früheren Kurz-Strategen Gerald Fleischmann, soeben wieder, der ÖVP-Not gehorchend, wie Phönix aus der Asche entstiegen. SNU ist die Abkürzung für „strategisch notwendiger Unsinn“. Gemeint ist eine Ablenkungstaktik durch das Streuen von unsinnigen Behauptungen, die gezielt an die Medien verteilt werden.

Die Freiheitlichen sind geradezu gelehrige SNU-Schüler und warten im Wochen-Rhythmus mit SNU auf.

Dadurch werden andere für den Verteiler des Unsinns unangenehme Themen in den Hintergrund gedrängt. Fleischmann gilt als Erfinder der „Message Control“, und so heißt auch sein neues Buch, in dem er aus dem Nähkästchen plaudert. Etwa, wie man einer unangenehmen Interview-Frage möglichst gut ausweichen kann. Stufe eins (von sechs): „Frage komplett ignorieren“ oder schärfer: Man greife den Fragesteller an, weil er unfair sei. Fleischmann ist wieder Berater von Kurz-Nachfolger Nehammer, was dessen Aggressionen gegen Interviewer, etwa in der ZiB 2, erklärt. Aber SNU ist längst Allgemeingut bei Österreichs Parteien geworden. Die Freiheitlichen sind geradezu gelehrige SNU-Schüler und warten im Wochen-Rhythmus mit SNU auf.

Der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Waldhäusl antwortet einer Schülerin, die kritisiert hat, dass durch FPÖ-Forderungen viele MitschülerInnen nicht mehr in ihrer Klasse sitzen würden, weil sie Migrationshintergrund haben: „Dann wäre Wien noch Wien“. Rassistisch und SNU. FPÖ-Obmann Kickl will eine „Festung Österreich“, also Grenzen dichtgemacht, keine Ausländer mehr rein: SNU! Österreich unterstützt die Erdbebenopfer in der Türkei mit drei Millionen Euro, darauf der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Landbauer: „Schluss mit Millionengeschenken ans Ausland!“ Geschmackloser geht es angesichts der Tragödie nicht, ist aber vor allem SNU.

Lässt sich beliebig fortsetzen, etwa wenn die Kärntner FPÖ jetzt wieder, Wahlkampf ist´s, vor einer „Slowenisierung Kärntens“ warnt. Doch die Slowenen stellen dort nur mehr geschätzte drei Prozent der Bevölkerung. Auf all diesen SNU, meistens heftige Aussagen zu Ausländer-Themen, folgt immer dasselbe: allgemeine Empörung. Die Medien, und zwar alle, springen auf, rechtsextremen Themen wird ein mehr als komfortabler Platz eingeräumt. Nebenbei wird von einem für die FPÖ unangenehmen Thema abgelenkt, denn Berichten zufolge soll die FPÖ von einem russischen PR-Agenten Geld erhalten haben, um dafür einen russland-freundlichen Antrag im Nationalrat einzubringen (die FPÖ dementiert und klagt gerade die SPÖ wegen dieser Behauptung).

SNU ist nur dann erfolgreich, wenn die Medien mitspielen. Sie haben auch dem Buch ihres einstigen Buhmanns Fleischmann umfangreichen Raum gewidmet, was sich auf den Bucherfolg sicher auswirken wird. Medien und SNU, das ist eine zweischneidige Sache. Es widerspricht dem journalistischen Ethos, den gröbsten Unsinn einfach zu ignorieren. Wer schweigt, scheint zuzustimmen, und wer will das schon. Aber in dem Moment, da der SNU medialen Platz bekommt, hat er seinen Zweck bereits erreicht.

Nicht zum SNU zähle ich die Ankündigung von Kanzler Nehammer, eine Kommission einzurichten, die sich der Aufarbeitung der Vorgänge und Maßnahmen zu Corona widmen soll. Damit will Nehammer einen Versöhnungsprozess einleiten, der der Polarisierung der Gesellschaft entgegenwirken soll. Das ist den Versuch wert. Es würde mich aber nicht wundern, wenn in dieser Diskussion auch jede Menge SNU aus der Mottenkiste wieder auftaucht. Von den sattsam bekannten Verschwörungstheorien bis zur Behandlung von Corona durch Wurmmittel für Pferde.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.

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