Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Net amoi ignoriern

Politik / 06.03.2023 • 06:30 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Die Zivilgesellschaft wehrt sich, wenn es um die Zukunft geht. Damit meine ich nicht nur die Klimaaktivisten, die weltweit auf die Straße gehen. Bei uns sorgen sich immer öfter hochkarätige Experten um die Zukunft und tun dies öffentlich kund. Diese Woche haben 16 von ihnen eine Verbesserung der Verwaltung gefordert.

„Da liegen gute Ideen geradezu auf dem Silbertablett, man braucht sie nur aufzugreifen.“

Von Irmgard Griss bis zum Verfassungsrechtler Heinz Mayer. Die Politik reagiert auf solche Vorhalte meistens gar nicht. Insgeheim ist man verschnupft, denn solche Diskussionen erinnern ja an die eigene Ideenlosigkeit zur Bewältigung der Zukunft. Man könnte es auch umgekehrt sehen. Da liegen gute Ideen geradezu auf dem Silbertablett, man braucht sie nur aufzugreifen.

Na ja, die vorgeschlagene Beschränkung der Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien wird besonders sauer aufgestoßen sein, siehe die 104 Beschäftigten im Bundeskanzleramt für Öffentlichkeitsarbeit, auch schon vor der jetzigen Regierung. Aber wie wäre es mit einem Lizitationswettbewerb nach unten im nächsten Wahlkampf? Die genannten Experten schlagen eine Reduktion der Mitarbeiter in Ministerkabinetten auf sechs Personen vor. Von größerer Tragweite ist der Vorschlag, dass die Vorbereitung auf die Bewältigung komplexer Krisen wie der Fluchtbewegung 2015 und der Corona-Pandemie verbessert werden sollen. Das wäre doch was für die diversen Parteiprogramme. Oder: Mehr Transparenz durch ein zeitgemäßes Informationsfreiheitsgesetz, das über den derzeitigen Entwurf hinausgeht, oder Reformen in der Verwaltung durch stärkere Digitalisierung, objektive Auswahlverfahren für Staatsbedienstete statt der Freunderlwirtschaft, oder, wie der ehemalige Justizminister Clemens Jabloner vorschlägt, eine Anhebung der Qualität der Ministerialverwaltung. Jabloner spricht von einer „Selbstverblödung des Staates, weil die Apparate „politisch aufgeladen“ seien, aber an fachlicher Expertise verloren hätten, die man dann um teures Geld zukaufen musste. Noch leichter wäre die Abschaffung der weisungsbefugten Generalsekretäre, die „als eine Art Bauchrednerpuppe des Ministers agieren“ (Jabloner).

Es scheint zu befürchten, dass diese Vorschläge das Schicksal aller Expertenvorschläge erleiden. Gerade haben namhafte Persönlichkeiten, sogar der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), in einem offenen Brief eine Neuausrichtung unserer Sicherheitspolitik gefordert. Das haben sie bereits im vergangenen Mai getan und legen mit einem zweiten Brief nach, weil keine ihrer Forderungen umgesetzt worden seien, als ob es den Einmarsch Russlands in die Ukraine nicht gegeben hätte. Nun kann man darüber diskutieren, ob Österreich wie Finnland oder Schweden der NATO beitreten oder Waffen an die Ukraine liefern soll. Aber dass man, wie Kanzler Nehammer, über eine Neuordnung der Neutralität nicht einmal diskutieren will, ist typisch österreichisch. „Net amoi ignorieren“ (Karl Kraus) ist das Motto, weil die Umfragen eine Zustimmungsrate von 80 Prozent zur Neutralität signalisieren.

Doch der Kanzler wird demnächst einen Zukunftsentwurf vorlegen. Werden wir darin die mutigen Antworten finden, auf die wir warten? Wie sanieren wir den Staatshaushalt nach den mit der Gießkanne verteilten Milliarden? Wer zahlt die Pensionen der Baby-Boomer? Wie bekommen wir die Inflation in den Griff? Wie verringern wir die Abhängigkeit von russischem Gas? Wie lösen wir die Probleme bei der Pflege? Wie verbessern wir die Kinderbetreuung? Natürlich hätten wir auch gern gewußt, welche Lösungen die anderen Parteien anzubieten haben. Ansonsten heißt es: Warten auf den nächsten offenen Brief.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.

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