Nehammer betont gute Koalition und irritiert weiter die Grünen

Politik / 13.03.2023 • 18:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Bundeskanzler Nehammer sieht in den Warnungen der Klimawissenschafter und der "Letzten Generation" einen "Untergangsmythos" und will sich etwa für Verbrennungsmotoren einsetzen. Diese Position bekräftigte er am Montag. APA/ROLAND SCHLAGER
Bundeskanzler Nehammer sieht in den Warnungen der Klimawissenschafter und der "Letzten Generation" einen "Untergangsmythos" und will sich etwa für Verbrennungsmotoren einsetzen. Diese Position bekräftigte er am Montag. APA/ROLAND SCHLAGER

Am Montag bekräftigte Nehammer jene Punkte aus seiner Rede, die die Grünen vor den Kopf stoßen.

Wien Die türkis-grüne Bundesregierung nähert sich dem letzten Jahr ihrer Legislaturperiode. Vieles sei gelungen, wird von beiden Koalitionspartnern stets betont. Umso mehr überrascht der aktuelle Konfrontationskurs gegenüber den Grünen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), den er mit seiner groß inszenierten Kanzlerrede am Freitag gestartet hat. 

Irritationen bei den Grünen

“Die Koalition mit den Grünen ist nicht gefährdet”, sagte er am Montag bei einem Journalistengespräch. Als Wahlkampfauftakt sei seine Rede nicht zu verstehen. Dass sie für gröbere Irritationen beim Koalitionspartner geführt hatte, quittierte Nehammer so: “Wir haben grundsätzlich unterschiedliche Ausrichtungen, haben aber nicht den Fehler gemacht, uns ideologisch anzugleichen.” Stattdessen werde pragmatisch gearbeitet. Die Ergebnisse “aus beiden Welten”, wie die ökosoziale Steuerreform oder die Abschaffung der Kalten Progression, seien “herzeigbar”.

Einige große Brocken wie ein Informationsfreiheitsgesetz, das Klimaschutzgesetz, ein Bundesstaatsanwalt oder die Reform des Arbeitslosengeldes liegen jedoch noch im Weg. “Die Priorisierung, wann wir was beschließen, die obliegt halt uns als Regierung. Meine Prioritäten sind andere”, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (Grüne) am Montag.

Es habe Montagvormittag ein langes Gespräch mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gegeben. Vieles aus seiner Rede vom vergangenen Freitag seien gemeinsame Ziele: Die Zweckwidmung der Wohnbauförderung, die Nostrifizierung der Pflegeausbildung, Digitalisierungs- und Medienkompetenzfragen in der Schule, eine kostenlose Meisterprüfung oder der Ausbau der Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr. Dennoch bleiben wohl zwei große Streitpunkte in der Klima- und Sozialpolitik offen.

Kürzung von Sozialleistungen

Dazu gehört Nehammers Vorstoß, die Sozialleistungen für Ausländer neu zu regeln. Nur jene sollten sie in vollem Umfang beziehen können, die durchgehend fünf Jahre in Österreich leben. Ansonsten will der Kanzler die Leistungen um die Hälfte kürzen. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) lehnte das umgehend ab. Maßgeblich für den Bezug müsse der Bedarf an Unterstützung sein, nicht die Aufenthaltsdauer oder das Ausmaß der Beschäftigung. Diese Maßnahme würde außerdem nicht dazu führen, 10.000 Pflegekräfte aus dem Ausland für Österreich zu gewinnen, sagte Rauch im “Standard”.

Die Grünen betonten weiters, dass sich zu diesem Punkt nichts im Regierungsprogramm finde und daher stehe er auch nicht zur Diskussion: “Wir gehen davon aus, dass solche Vorstöße weder vor den Höchstgerichten in Österreich noch vor jenen der EU haltbar wären. Wir erinnern hier etwa auch an die Indexierung der Familienbeihilfe, die vom EuGH aufgehoben wurde.”

Nur für wenige Gruppen käme aufgrund von EU-Recht eine Kürzung infrage, sagte Europarechtsexperte Franz Leidenmühler im Ö1-“Mittagsjournal”. So etwa Personen aus Drittstaaten, die sich nicht im Asylverfahren befinden und keine Angehörigen von EU-Bürgerinnen oder -Bürgern sind. Für subsidiär Schutzberechtigte gebe es nur eine Mindestunterstützung in Bereichen wie Einkommen, Krankheit oder Wohnen – hier habe eine “Gleichbehandlung mit Inländerinnen und Inländern zu erfolgen”. Drittstaatsangehörige, die in Österreich arbeiten, hätten auch ein Anrecht auf Sozialleistungen.

Welche Leistungen Nehammer im Detail kürzen will, blieb auch nach dem Kanzlergespräch unklar. Das Modell werde gerade ausgearbeitet und sich an EU-Recht orientieren, meinte Nehammer lediglich. Dass die Grünen von seiner Forderung, Ausländern die Sozialleistungen zu kürzen, nicht begeistert sind, sei aber “keine Überraschung”.

“Untergangsmythos” Klimakatastrophe

Doch auch im Bereich Klimaschutz ließ Nehammer mit markigen Sprüchen aufhorchen. Österreich sei etwa ein “Autoland”, er werde sich auch künftig für Verbrennermotoren einsetzen. Außerdem kritisierte er den “Untergangsmythos” Klimakatastrophe. Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) meldete sich noch am Wochenende mit kritischen Tönen zu Wort. Die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer kritisierte am Montag die “rückwärtsgewandte und fossile Perspektive” der ÖVP.

“Inhaltlich unterscheidet uns das Ziel des Klimaschutzes nicht, nur der Weg dahin ist ein anderer”, räumte Nehammer auf Nachfrage ein. Für ihn liege die Lösung in Innovation und Fortschritt, nicht im Verbot von Fleisch oder Autos.

Inspiriert hat Nehammer das Buch “Apokalypse, niemals!” von Michael Shellenberger, der Atomkraft befürwortet. Anerkannte Klimawissenschafter kritisieren das Werk als teilweise grob fehlerhaft. “Mir geht’s nicht darum, irgendetwas zu relativieren”, aber “mein Zugang ist der Blick nach vorne”, sagte der ÖVP-Chef. Die Atomenergienutzung, die Shellenberger in seinem Buch propagiert, lehne Nehammer aber für Österreich weiterhin ab.

Dass es einen Fachkräftemangel bezüglich der Umsetzung der Energiewende in Österreich gibt, stritt Nehammer nicht ab. Es gebe aber etwa Gespräche, etwa mit Indien, um qualifizierte Fachkräfte ins Land zu holen. “Wir sollten aber aus den Fehlern der Vergangenheit lernen”, sagte der Kanzler und meinte damit die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter der 60er- und 70er-Jahre. Diese hätten dann auch ihre Familien nachgeholt und “plötzlich haben wir uns gewundert, dass wir ein Migrationsproblem haben”.

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