Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Die Demophobie der Politik

Politik / 16.03.2023 • 12:30 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

VN-Kommentator und Verfassungsjurist Peter Bußjäger über “Demophobie”, die Ablehnung der direkten Demokratie.

Als Demophobie bezeichnet man eigentlich die Angst vor Menschenmassen. Die deutsche Staatsrechtslehrerin und ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff hat nun ein Buch mit diesem Titel veröffentlicht.

Sie wendet sich darin gegen die in Deutschland in intellektuellen Kreisen und bei Entscheidungsträgern weit verbreitete Ablehnung der direkten Demokratie. Ihre Kernaussagen treffen genauso auf Österreich zu.

„Oder hat jemand den Eindruck, dass etwa die Beschlüsse des Nationalrats in den vergangenen Jahren von überzeugender Qualität waren?“

Demophobie bedeutet im Verständnis des Buches Angst vor oder zumindest Skepsis gegenüber dem Volk. Häufig wird argumentiert, dass das schlecht informierte Volk populistische, unvernünftige Entscheidungen treffen könnte und nicht weiß, was das Beste für das Land ist. Besonders kurios wird es, wenn Politikerinnen oder Politiker ihre Skepsis gegenüber Volksentscheidungen zum Ausdruck bringen. Wer hat wohl, glauben diese Leute, sie eigentlich in ihre Funktionen entsendet? Der Parteisekretär, der sie auf eine Liste geschrieben hat, oder doch das Volk, das diese Liste gewählt hat?

Tatsächlich besteht kein Grund zur Annahme, dass das Volk unvernünftiger agiert als seine Repräsentanten in den Parlamenten auf Bundes- oder Landesebene. Oder hat jemand den Eindruck, dass etwa die Beschlüsse des Nationalrats in den vergangenen Jahren von überzeugender Qualität waren? Zuweilen wird argumentiert, dass der Bevölkerung das Fachwissen fehle, um über komplizierte Vorlagen abzustimmen. Das mag sein, aber es fehlt den meisten Parlamentariern genauso. Auch die Sorge wird laut, dass in Volksabstimmungen verfassungswidrige Beschlüsse zustande kommen könnten. Das ist selbstverständlich denkbar, aber das gilt für die Parlamente bei Bund und Ländern auch.

Die Möglichkeiten der direkten Demokratie sind in Österreich nicht zuletzt durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zur Volksabstimmung in Ludesch limitiert. Dieser hat ja ausgesprochen, dass es gegen den Willen der Gemeindevertretung keine Volksabstimmung auf Gemeindeebene geben darf. Allerdings sollte man sich nicht auf den Verfassungsgerichtshof hinausreden: Es gibt hinreichend Gelegenheiten, auch auf der Basis der bestehenden Rechtslage direkte Demokratie weitaus stärker zu nutzen als dies derzeit der Fall ist. Freilich müssen die Bürgerinnen und Bürger über diese Instrumente informiert sein und sie auch nützen wollen. Nur so kann der Demophobie der Politik entgegengewirkt werden.

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.

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