Nehammer gibt auf
Karl Nehammer mag nicht mehr. Der Bundeskanzler und ÖVP-Obmann hat es aufgegeben, „ein Lernender“ sein zu wollen und etwa auf die Wissenschaft zu setzen, um möglichst faktenbasiert entscheiden zu können. In diesem Sinne hatte er gleich nach seinem Amtsantritt die „Gesamtstaatliche COVID-Krisenkoordination“ (GECKO) zur besseren Bewältigung der Pandemie geschaffen. Experten sollten stärker eingebunden werden. Zu Fragen der europäischen Integration sowie der Migration agierte er kaum wahrnehmbar. Zwischendurch ließ er erkennen, dass ihm Extreme wie Herbert Kickl (FPÖ) zuwider sind.
In Wirklichkeit haben Freiheitliche mit einer ÖVP, die es ihnen überlässt, den Ton anzugeben, die absolute Mehrheit. Bald auch auf Bundesebene.
Das ist Geschichte. Karl Nehammer bemüht sich nicht mehr um neue Akzente. These: Es liegt daran, dass er keine Vorstellung von einer bürgerlichen Politik hat, die heute noch zu einer Mehrheit bei einer Wahl führen könnte; einer Politik, die sich dadurch kennzeichnet, dass sie von bestimmten Überzeugungen ausgeht und einer Verantwortung gegenüber der gesamten Gesellschaft getragen ist. Also macht er die Schubladen auf und kramt die Anleitungen des Sebastian Kurz hervor. Schlimmer: Er lässt sich durch dessen Mann fürs Kommunikative, Gerald Fleischmann, steuern.
Das ist bezeichnend für die gesamte Volkspartei: In Niederösterreich ist sie zwar stärkste Partei geblieben, hat offenbar aber so keinen Plan fürs Land, dass sie sich unter Führung von Johanna Mikl-Leitner das Regierungsprogramm für die kommenden fünf Jahre von den Freiheitlichen diktieren ließ. Ihr war nur wichtig, an der Macht zu bleiben. Das tut sie.
Genau genommen handelt es sich lediglich um die Fortsetzung eines Kapitels des Niedergangs, das die ÖVP-Landesobleute im Frühjahr 2017 mit der Bestellung von Kurz zum Chef eröffnet haben: Sie wussten nicht mehr was anfangen mit ihrer eigenen Bundespartei. Also haben sie sie dem damals 30-Jährigen überlassen. Er durfte schalten und walten, wie es ihm gefällt, eine rechtspopulistische Bewegung daraus machen, ja eine FPÖ, die vielleicht salonfähiger wirkt. Kurz musste einzig Wahlerfolge liefern. Die brachte er.
Karl Nehammer ist mittlerweile zu diesem Rechtspopulismus zurückgekehrt. Bei Corona tut er so, als wären Experten schuld an diversen Unannehmlichkeiten gewesen. In Bezug auf die Klimakrise schwurbelt er. Motto: Alles halb so schlimm, wir können weiterleben, wie bisher. Ein Hoch auf das Autoland! Die EU ist ein einziges Ärgernis, von Migration gar nicht zu reden. Ist die ÖVP damit am Ende? Zwischentöne aus Vorarlberg, Tirol und der Steiermark etwa zeigen, dass es noch Bürgerliche gibt, denen das, was hier läuft, nicht gefällt. Ein Othmar Karas bringt das beinahe täglich zum Ausdruck. Er leidet. In Summe kann die Volkspartei als Organisation auch schon allein aufgrund ihrer Bünde und deren Verankerung in den geschützten Kammern kaum verschwinden. Sie wechselt jedoch ihre Seele. Es steht zwar noch ÖVP drauf, ist aber zunehmend FPÖ drinnen. Das läuft auf Koalitionen wie nun in Niederösterreich hinaus und dient letzten Endes nur Leuten wie Udo Landbauer oder Herbert Kickl: In Wirklichkeit haben sie mit einer Volkspartei, die es ihnen überlässt, den Ton anzugeben, die absolute Mehrheit. Bald auch auf Bundesebene.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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