“Giftzähne” der Sozialhilfe: Darum gibt es auch in Vorarlberg Reformwünsche

Armutskonferenz drängt auf Änderungen beim Grundsatzgesetz, auch die zuständige Landesrätin äußert Kritik.
Schwarzach Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit der Sozialhilfe auseinandergesetzt hat. Diese Woche kippte das Höchstgericht weitere Bestimmungen aus dem Grundsatzgesetz. Die Reform der früheren Mindestsicherung war ein Prestigeprojekt der ehemaligen türkis-blauen Bundesregierung. Vorarlberg prüft derzeit rechtlich, ob im Land nach dem Höchstgerichtserkenntnis Anpassungsbedarf besteht. Die zuständige Landesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) wünscht sich auch eine grundsätzliche Reform.
Nicht nur Sachleistungen
Konkret ist nun verfassungswidrig, dass die Länder für die Deckung eines erhöhten Wohnbedarfs oder zur Vermeidung besonderer Härtefälle ausschließlich Sachleistungen gewähren dürfen. Dies sei nicht gerechtfertigt und widerspreche daher dem Gleichheitsgrundsatz, hielt das Höchstgericht fest. Auch eine Bestimmung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes kippte der VfGH.

Die Vorarlberger Soziallandesrätin glaubt nicht, dass nun im Vorarlberger Gesetz nachgebessert werden muss. „Wir lassen das rechtlich prüfen. Aber im Wesentlichen bezahlen wir die Wohnkosten als Geldleistung aus.“ Lediglich in Einzelfällen würden Sachleistungen ausgegeben. Es gehe darum, dass die Miete dann direkt an den Vermieter ausbezahlt wird, damit die betroffene Person oder Familie die Wohnung nicht verliere.
Nun mehren sich die Rufe aber nach einer Änderung des Grundsatzgesetzes. So drängte etwa die Armutskonferenz auf eine Sanierung: Von der Sozialhilfe bleibe mittlerweile nur noch eine „eingestürzte Ruine“, hielt das Netzwerk fest. Der Vorarlberger Sprecher Michael Diettrich kritisiert auf VN-Anfrage die „grundsätzlichen Giftzähne“.

Der Vorarlberger Sprecher Michael Diettrich kritisiert auf VN-Anfrage die „grundsätzlichen Giftzähne“. Selbst bei Maximalbeträgen läge die Sozialhilfe in Vorarlberg deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle – mit Ausnahme von Alleinerziehenden-Haushalten. Der Sprecher der Armutskonferenz hat zum Beispiel berechnet, dass ein Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern mit Stand 2023 maximal 31.755 Euro im Jahr bekommen würde. Die Armutsgefährdungsschwelle läge in diesem Fall aber schätzungsweise bei 36.200 Euro – 60 Prozent des mittleren verfügbaren Jahresnettoeinkommens. Dabei würden die Sozialhilfe-Maximalbeträge nur erreicht, wenn viel Miete bezahlt werden müsse, also wenn der Zuschuss für den Wohnbedarf entsprechend hoch sei. Diettrich hält fest: „Die Vorarlberger Sozialhilfe ist im Rahmen des Möglichen wohl noch die beste in Österreich.“ Es blieben aber die grundsätzlichen Probleme mit den Vorgaben des Bundes.
Auch Landesrätin Wiesflecker unterstreicht, dass sie den Wechsel von der Mindestsicherung zur türkis-blauen Sozialhilfe von Beginn an kritisch gesehen habe. „Mein Hauptkritikpunkt ist, dass sich der Bund von der Mindesrsicherung und damit einer Existenzsicherung verabschiedete und sich mit dem Sozialhilfegesetz nur noch zu einem Beitrag zur Existenzsicherung bekennt, was schlicht und einfach zu wenig ist.“ Gerade in Zeiten der Teuerung bei Lebensmitteln und Wohnen. Die Länder bräuchten mehr Spielraum, glaubt die Landesrätin.

Keine Änderung in dieser Periode
Auch Wiesfleckers Parteikollege, Sozialminister Johannes Rauch, sagte zuletzt: „Ich bin dafür, das insgesamt zu reformieren.“ Doch: „Die Aussicht, dass das noch in dieser Legislaturperiode geschehen kann, schätze ich als nicht besonders hoch ein.“ Die ÖVP ist nämlich unwillig, den Status quo zu ändern, wie Klubobmann August Wöginger verdeutlichte. 2019 habe sich die damalige Regierung auf ein Rahmengesetz geeinigt, die Länder hätten Spielräume, sagte er. Wichtig sei aber, dass die Höchstgerichtserkenntnisse berücksichtigt würden.
Die Zahl der Sozialhilfe-Bezieherinnen und -Bezieher ist im Februar im Vergleich zum Vormonat in Vorarlberg leicht angestiegen. Ob sich dieser Trend fortsetzt, kann nach Angaben der Soziallandesrätin noch nicht abgeschätzt werden. Armutskonferenz-Sprecher Diettrich zufolge gibt es einen starken Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt, konkret der Situation der Langzeitarbeitslosen. Er ist sich mit Verweis auf die anhaltende Teuerung sicher: „Die Situation der Menschen, die Sozialhilfe beziehen, wird sich verschlimmern.“
Sozialhilfe in Vorarlberg
Dem Land zufolge haben 4929 Personen in 2115 Haushaltsgemeinschaften im Februar Sozialhilfe bezogen. Das ist ein leichter Anstieg. Im Jänner waren es 4722 Personen in 2047 Haushalten. Im Februar zählten 1745 Kinder und Jugendliche zu den Bezieherinnen und Beziehern, etwa rund 35 Prozent. Die durchschnittliche Bezugsdauer beträgt etwa sechs Monate. Etwa 41 Prozent der Fälle hatten im Februar die österreichische Staatsbürgerschaft, und 59 Prozent eine andere. Davon kamen die meisten Betroffenen aus Syrien, gefolgt von Russland, Türkei, Afghanistan und Deutschland.
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