Von der Selenskyj-Rede im Parlament: Diese Abgeordneten waren nicht dabei

Politik / 30.03.2023 • 12:45 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Wolodymyr Selenskyj war live aus Kiew zugeschalten, die Tribünen im Nationalratssitzungssaal waren prall gefüllt. <span class="copyright">VN/Maximilian Werner</span>
Wolodymyr Selenskyj war live aus Kiew zugeschalten, die Tribünen im Nationalratssitzungssaal waren prall gefüllt. VN/Maximilian Werner

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, sprach erstmals zum österreichischen Nationalrat: “Ich bin überzeugt, dass die ukrainische Friedensformel der Welt helfen wird.”

Wien Die Freiheitliche Partei Österreichs – jene, die mit der Partei von Russlands Präsident Wladimir Putin einen Freundschaftsvertrag abgeschlossen hat – zollt Wolodymyr Selenskyj keinen Respekt. Bei den ersten Worten des Präsidenten der Ukraine verlassen die Abgeordneten von Klubobmann Herbert Kickl ihre Plätze. Sie hinterlassen im Nationalratssitzungssaal nur kleine Schilder: “Platz für den Frieden” oder “Platz für Neutralität” steht dort geschrieben. Kickl hatte bereits gestern einen “freiheitlichen Protest” angekündigt, die parlamentarische Veranstaltung sei ein “Anschlag auf die österreichische Neutralität”.

Doch eine Rede von Wolodymyr Selenskyj ist natürlich mit der Neutralität vereinbar. Die Bundesverfassung verpflichtet Österreich nur, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und keine militärischen Stützpunkte anderer Länder auf dem Staatsgebiet zuzulassen. Das betonte auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) in seiner Ansprache: “Das offizielle Österreich ist zwar militärisch neutral, nicht aber politisch.” Er hielt gegenüber Selenskyj außerdem fest,  dass “die politische, finanzielle und humanitäre Unterstützung der Ukraine für die Österreicherinnen und Österreicher ein großes Anliegen” sei. Österreich habe die Ukraine bisher mit über 129 Millionen Euro an finanzieller und humanitärer Hilfe unterstützt: “Wir werden diese Hilfe weiter fortsetzen.”

Rede live aus Kiew

Darum bat auch Selenskyj in seiner anschließenden Rede. Circa zehn Minuten lang sprach der 45-Jährige vor dem Nationalrat, Mitgliedern der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten in der Mittelloge. Er war live aus Kiew zugeschaltet, von wo er plädierte “moralisch nicht neutral gegenüber dem Bösen zu sein”. Seinem Land gehe es nicht um Geopolitik (“Wir möchten uns nicht in das Leben anderer Länder einmischen”) oder um militärisch-politische Angelegenheiten: “Es geht darum, dass ein Mensch immer ein Mensch bleiben muss.”

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Als einer der letzten EU-Staaten hatte Österreich Selenskyj die Möglichkeit gegeben, vor dem nationalen Parlament zu sprechen. Bereits vergangenes Jahr – kurz nach Kriegsbeginn – hatten die Neos eine diesbezügliche Initiative gestartet, waren aber wegen einer Blockade der FPÖ in der Präsidiale gescheitert. Nun klappte es doch, der Präsident der Ukraine nutzte die Gelegenheit um die Situation in seinem Land darzustellen: Es sei ein ‘totaler Krieg Russlands gegen unsere Menschen’, an dem jeden Tag Menschen ihre Leben verlieren würden.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen (r.) tauschte sich mit dem Botschafter der Ukraine in Wien, Wassyl Chymynez (l.), im Vorfeld der Rede aus. <span class="copyright">APA/Robert Jäger</span>
Bundespräsident Alexander Van der Bellen (r.) tauschte sich mit dem Botschafter der Ukraine in Wien, Wassyl Chymynez (l.), im Vorfeld der Rede aus. APA/Robert Jäger

Nicht nur in Kampfhandlungen würden Menschen getötet, sondern auch danach. 174.000 Quadratkilometer, etwa die doppelte Fläche Österreichs, seien durch Minen und nicht-explodierte Geschosse kontaminiert. Hunderttausende Minen, Granaten und Sprengfallen seien von den Russen in Gebäuderuinen, Feldern und Gärten hinterlassen worden: “Wenn wir uns an Sie wenden, um um Unterstützung zu bitten, bitten wir darum, Menschenleben zu schützen.”

Vier-Parteien-Kritik gegenüber der FPÖ

Die anderen Fraktionen wiesen in ihren anschließenden Redebeiträgen die Freiheitlichen zurecht. Selbstverständlich sei Selenskyjs Rede mit der Neutralität vereinbar, betonte der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka. Er kritisierte, dass die FPÖ-Abgeordneten dem ukrainischen Präsidenten den Rücken gekehrt haben. Die Ukraine habe sich “mutig und entschlossen” dem Aggressor Russland entgegengestellt – “das verdient Respekt”. Die Ukraine führe diesen Abwehrkampf auch für die freie westliche Gesellschaftsordnung.

Zu Beginn der parlamentarischen Veranstaltung saßen der Dritte Nationalratspräsident, Norbert Hofer (l.), und FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl noch auf ihren Plätzen. <span class="copyright">APA/Robert Jäger</span>
Zu Beginn der parlamentarischen Veranstaltung saßen der Dritte Nationalratspräsident, Norbert Hofer (l.), und FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl noch auf ihren Plätzen. APA/Robert Jäger

“Wenn hier im Hohen Haus jemand die Neutralität verrät, dann ist es die FPÖ”, meinte auch die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic. Die FPÖ entziehe sich dem demokratischen Diskurs, und “das ist eine Schande”, betonte sie. “Österreich ist solidarisch an der Seite der angegriffenen Ukraine.”

Nach wenigen Augenblicken blieben von den Freiheitlichen aber nur Pappschilder übrig. <span class="copyright">APA/Robert Jäger</span>
Nach wenigen Augenblicken blieben von den Freiheitlichen aber nur Pappschilder übrig. APA/Robert Jäger

“Wenn man in einem Jahr ausschließlich 30 pro-russische Anträge hier einbringt, ist das weder ein Signal für Frieden noch ein Signal für Neutralität”, schloss sich auch SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried der Kritik an der FPÖ an. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach Selenskyj Respekt und Anerkennung aus. Die Ukraine kämpfe gegen “blinde Zerstörungswut”. Russland führe nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen Europa und den gesamten Westen. Sie frage sich, welches Kriegsverbrechen Putin nicht begangen habe in der Ukraine. Besonders hob sie die hohe Zahl an Kindesentführungen hervor.

Die Abgeordneten der FPÖ verfolgten all diese Wortmeldungen nicht, wie auch ungefähr die Hälfte der Abgeordneten aus dem sozialdemokratischen Klub, die das teilweise auch mit einem Blick auf die Neutralität begründeten. Einer von ihnen war Reinhold Einwallner, der im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten im Anschluss an die Rede auf das Setting der Veranstaltung verwies: “Es war eine Veranstaltung des Präsidenten”. Dass Selenskyj bei den Reaktionen der Klubs nicht mehr zuhörte, findet der 49-Jährige “schade”, die Rede selbst hätte er aber gut gefunden: “Und ich verurteile natürlich den russischen Angriffskrieg”, trotz Österreichs Neutralität.

Diese forderten übrigens auch Demonstranten vor dem Parlamentsgebäue ein, unter anderem hatte sich die Impfgegner-Partei MFG dort platziert. Und während diese für einen Frieden mit Russland skandierten, rief Wolodymyr Selenskyj “Slawa Ukrajini!”. Oder wie die Dolmetscherin übersetzte: “Ruhm der Ukraine!”

Eine kleinere Runde an Demonstrantinnen und Demonstranten versammelte sich anlässlich der Rede Selenskyjs vor dem Parlament. <span class="copyright">VN/Maximilian Werner</span>
Eine kleinere Runde an Demonstrantinnen und Demonstranten versammelte sich anlässlich der Rede Selenskyjs vor dem Parlament. VN/Maximilian Werner

Mit Material der Austria Presse Agentur (APA).

Update (13.10 Uhr): Statement von Reinhold Einwallner (SPÖ) eingefügt.

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