Abschied von der Atomkraft

Politik / 14.04.2023 • 22:46 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Aktivisten beleuchteten einen Kühlturm des AKW Emsland.
Aktivisten beleuchteten einen Kühlturm des AKW Emsland.

Dieses Wochenende gehen die letzten Reaktoren in Deutschland vom Netz.

Berlin, SCHWARZACH In Deutschland beginnt an diesem Wochenende eine neue Zeitrechnung. Nachdem Atomkraftwerke im Nachbarland rund sechs Jahrzehnte lang Strom produziert haben, soll es damit nun endgültig vorbei sein. Am Samstag gehen die drei letzten verbliebenen deutschen AKW, Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg vom Netz. Nun gibt es in der Vorarlberger Nachbarschaft nur noch die Schweizer Kraftwerke Beznau 1 und 2, Gösgen und Leibstadt. Bei der langjährigen Anti-Atomkraft-Aktivistin Hildegard Breiner ist die Erleichterung über den deutschen Atomausstieg groß. Am Widerstand gegen die Kernkraft beim nördlichen Nachbarn hat sie sich über die Jahre immer wieder beteiligt.

Verschobenes Ende

In Deutschland verläuft die Abschaltung der drei Reaktoren nicht ohne Kontroverse. Eigentlich hätten die letzten AKW Ende des vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise beschloss die deutsche Ampel-Koalition aber, die Meiler zumindest über den Winter noch laufen zu lassen. Jüngste Umfragen zeigen auch, dass eine Mehrheit der Deutschen dem Ausstieg kritisch gegenübersteht. In der Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte sich Letztere vehement gegen eine Abschaltung der letzten Kraftwerke gestemmt. Auch die Union ist dagegen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte an, landesrechtlich alles dafür zu unternehmen, eine mögliche Wiederinbetriebnahme der Kernkraft zu ermöglichen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verwies zuletzt allerdings darauf, dass es Union und FDP waren, die im Jahr 2011 den Ausstieg beschlossen hatten. Diesen hält er für unumkehrbar. Die letzten drei AKW würden nach der Abschaltung früher oder später in den Rückbau gehen, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Und ein Neubau von Atomkraftwerken hat sich immer als ökonomisches Fiasko dargestellt – ob in Frankreich, Großbritannien oder Finnland.“ Daran hätten die Betreiber auch kein Interesse. Die frühere schwarz-gelbe deutsche Bundesregierung unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) besiegelte den Zeitplan für das Ende der Kernenergie nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011.

Die jahrzehntelange Debatte um die radioaktive Strahlung dürfte im Nachbarland noch weiter andauern. Denn die heikle Suche nach einer Endlagerung des gefährlichen Atommülls bleibt ungelöst. „Wir haben etwa drei Generationen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfälle produziert, die noch für 30.000 Generationen gefährlich bleiben. Die Verantwortung übergeben wir an unsere Enkel, Urenkel und viele weitere Generationen“, sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Dazu kommt der Abbau von mehr als 30 Meilern unter hohen Sicherheitsauflagen. Eine Kommission hat die geschätzten Gesamtkosten unter anderem für Stilllegung und Rückbau sowie die Transporte und Lagerung der Abfälle auf 48,8 Milliarden Euro berechnet.

Österreich selbst betreibt keine Atomkraftwerke. In den 1970er-Jahren entstand zwar eines in Zwentendorf in Niederösterreich. Doch im November 1978 stimmte eine knappe Mehrheit in einer Volksabstimmung gegen dessen Inbetriebnahme. Somit ging das AKW nie ans Netz. Besonders in Vorarlberg war der Widerstand groß. Er wurde von der Umweltaktivistin Hildegard Breiner und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann Franz Viktor angeführt. Breiner, Obfrau des Naturschutzbundes und Russ-Preis-Trägerin, sieht im deutschen Ausstieg die einzig richtige Möglichkeit. Für sie ist es auch eine Art Erfolgserlebnis, wie sie den VN erzählt. „Ich persönlich fühle mich schon irgendwie beteiligt, denn unser Widerstand gegen Atomenergie in Deutschland war immer sehr groß.“ Als Stationen nennt sie etwa den Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, das AKW Gundremmingen und das Atommülllager Gorleben. Dass eine Mehrheit in der Bevölkerung sich aktuell gegen den Ausstieg ausspricht, wundert sie nicht. „Da sieht man, wie gezielte Kampagnen mit schier unendlichen Geldmitteln wirken können. Im Grunde ist es aber ohnehin Augenauswischerei.“ Atomkraft sei zu teuer, zu langsam und ohne staatliche Unterstützung nicht konkurrenzfähig. An erneuerbaren Energieträgern führe kein Weg vorbei. Dazu kämen das Atommüllproblem und der Sicherheitsaspekt.

„Tickende Zeitbomben“

Die Schweiz hat einen anderen Weg beim Atomausstieg gewählt. Dort dürfen die Kraftwerke so lange betrieben werden, wie sie als sicher eingestuft werden. Die Meiler in der Vorarlberger Nachbarschaft bezeichnet Breiner indes als „tickende Zeitbomben“ und verweist in diesem Zusammenhang auf Material­ermüdung oder andere Fehler. Der Weiterbetrieb stehe auf unsicheren Füßen.

Zur ersten und bislang letzten Abschaltung kam es vor rund vier Jahren: Im Dezember 2019 ging das AKW Mühleberg bei Bern nach 47 Jahren vom Netz. VN-RAM

„Unser Widerstand gegen Atomenergie in Deutschland war immer sehr groß.“

Die Polizei trägt 2011 bei Gorleben Demonstranten weg.
Die Polizei trägt 2011 bei Gorleben Demonstranten weg.
Isar 2 im bayerischen Essenbach bei Landshut soll am Samstag abgeschaltet werden. REUTERS, AFP
Isar 2 im bayerischen Essenbach bei Landshut soll am Samstag abgeschaltet werden. REUTERS, AFP

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.