„Zünglein an der Waage“

Bedeutung der Auslandstürken für die Wahl in der Türkei. Experte erwartet enges Rennen.
Schwarzach, Ankara Vor den Wahllokalen bildeten sich lange Schlangen. Seit Donnerstag dürfen die Auslandstürken ihre Stimme für die Präsidentschaftswahl in der Türkei abgeben. Ozan Ceyhun, Botschafter im türkischen Generalkonsulat in Wien, zeigte sich nach seiner Stimmabgabe zuversichtlich, dass es diesmal eine Rekordbeteiligung unter den 108.000 Wählern in Österreich geben wird. Dabei gab es zuletzt Sorgen um die Gesundheit von Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan.
Am Dienstag hatte der Präsident ein Live-Interview unterbrochen. Laut türkischem Gesundheitsminister wegen einer Magen-Darm-Entzündung. Nach einer dreitägigen Pause trat Erdogan erstmals wieder am Samstag in Istanbul öffentlich auf.
Enges Rennen erwartet
Sein Herausforderer, der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, hat derweil die Wahlberechtigten im Ausland dazu aufgerufen, für einen Regierungswechsel in der Türkei zu stimmen. „Sie haben die Verantwortung, das Land wieder auf Kurs zu bringen“, sagte er am Donnerstag in einer auf Twitter geteilten Videonachricht. „Eine Stimme von Ihnen ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Türkei.“
„Jede Stimme ist notwendig, die Diaspora-Türken könnten das Zünglein an der Waage sein“, bestätigt der Vorarlberger Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Hüseyin Cicek. Der Ausgang der Wahl sei nicht zu prognostizieren. „Es wird ein knappes Rennen. Wir wissen aber nicht, wie fair die Wahl in der Türkei abläuft.“
Schrittweise Veränderungen
Auch wenn es die AK-Partei von Präsident Erdogan geschafft habe, im Ausland verschiedene Gruppen unter einem Schirm zu vereinen, sei sie angeschlagen. Cicek sagt: „Der Mythos, die AKP könne nicht besiegt werden, hält sich nicht mehr.“ Cicek echauffiert sich darüber, dass die AKP die Opposition schon seit Jahren denunziere. „Der Wahlkampf ist seit Jahren unter der Gürtellinie und diesmal nicht mehr oder weniger dreckig als früher – sowohl im In- als auch im Ausland.“
Falls sich Kilicdaroglu tatsächlich durchsetzen sollte, stehen ihm einige schwierige Aufgaben bevor. Wie entwickeln sich die Beziehungen zur EU, den USA und zur NATO, aber auch zu Russland zum Beispiel?
„Die größte Herausforderung wird es, die Wirtschaft in den Griff zu bekommen“, betont Cicek und ergänzt: „Es gibt viele Baustellen und von der Opposition dafür noch keine richtigen Konzepte.“ Er befürchtet alten Wein in neuen Schläuchen. Klar sei aber auch, dass der Kurs nicht gleich geändert werden könne, sondern Veränderungen schrittweise kommen müssen.
Dafür nimmt Cicek auch die Vorarlberger Auslandstürken in die Pflicht. Die würden hier nämlich alle Freiheiten genießen und dann für ein autoritär regiertes System stimmen. Noch bis 9. Mai können die insgesamt über drei Millionen Auslandstürken ihre Stimme abgeben. In Vorarlberg können die registrierten Wähler ihre Stimme im türkischen Generalkonsulat in Wolfurt abgeben. „Für die Wahlen werden wir sowohl unter der Woche mit zwei Wahlurnen als auch am Wochenende mit drei Wahlurnen von 9 bis 21 Uhr geöffnet haben“, teilt das Konsulat mit. Auch für eine mögliche Stichwahl Ende Mai gibt es schon einen Plan. Am 14. Mai finden dann in der Türkei die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. VN-PPL



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