Wie Erdoğan im Wahlkampf hetzt

Zwei Wochen vor den Wahlen in der Türkei versucht der Präsident Wähler mit Hass gegen LGBT zu gewinnen.
Istanbul Ginge es nach dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, so dürfte es Talya Aydın vermutlich gar nicht geben. Die 26-Jährige ist Parlamentskandidatin der türkischen Arbeiterpartei TİP – und offen trans. Aydın gehört damit zu den Menschen, die Erdoğan zwei Wochen vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen fast täglich angeht. „Diese Nation hat keine LGBT“, sagte Erdoğan kürzlich über die Türkei und drohte, ihren Unterstützern bei der Wahl am 14. Mai „eine Lektion erteilen“ zu wollen.
„Schwule Propaganda“ als Terror
LGBT, die englische Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell und Transgender, ist für den türkischen Präsidenten ein Kampfbegriff. Erdoğan kann darauf vertrauen, dass das bei religiös-konservativen Wählern ankommt. Derartige Äußerungen gegenüber queeren Menschen sind nicht neu, seit Jahren schüren Erdoğan und an vorderster Front auch Innenminister Süleyman Soylu ein feindliches Klima gegen queere Menschen, nennen sie öffentlich „pervers“ und setzen sie ironiefrei mit Terrororganisationen gleich. Das treibt bunte Blüten. Soylu behauptete kürzlich, LGBT würden für die Ehe mit Tieren eintreten.
Was manchem absurd erscheinen mag, verfängt bei den Wählern. Im Sommer 2022 gingen in Folge von scharfer Hetze von Seiten der Regierung in mehreren türkischen Städten Menschen auf die Straße, um unter anderem das Verbot „schwuler Propaganda“ zu fordern. Als die Trans-Frau Selin Ciğerci im März 2023 einen Schönheitssalon in der Stadt Konya eröffnen wollte, versammelte sich ein Mob vor dem Ladenlokal und forderte sie in aggressiver Manier dazu auf, aus der Stadt zu verschwinden.
Die TİP-Kandidatin Aydın will sich genau dem stellen. „Ich kann nicht akzeptieren, dass ich mich jetzt weniger sicher fühle als mit 14 Jahren, als Leute dachten, ich sei ein Junge“, sagt Aydın. Angst, als Trans-Frau in der Öffentlichkeit zu stehen, hat sie nicht: „Ich bin nicht diejenige, die Angst vor ihnen haben sollte, sie sollten Angst vor einem fairen Richter in der Zukunft haben.“
Ein Land vor großer Veränderung?
Doch noch vor ein paar Monaten hätte auch sie nicht geglaubt, in einem Land unter Erdoğan als Kandidatin antreten zu können. Dass sie es dennoch tut, habe ihr „erstaunliches Feedback“ eingebracht. Der selbsterklärten Sozialistin geht es um Gleichheit – unabhängig von Klasse, ökonomischen Ressourcen und Gender. Sie ist sicher, dass die Türkei kurz vor einer großen Veränderung steht.
Erdoğan hofft, die Wahlen mit der Unterstützung islamistischer Parteien zu gewinnen, die allesamt mit antifeministischem Programm antreten. Frauen und queere Menschen fürchten, dass sich ihre Situation mit einer Wiederwahl Erdoğans erneut verschlechtern könnte.
Dass die Drohungen nicht nur ein verbaler Ausdruck bleiben dürften, sondern irgendwann auch in Gewalt umschlagen könnten, liege auf der Hand, sagt Deniz Altuntas vom Zentrum für Frauen- und Familienforschung an der Kadir Has Universität. „Stell dir vor: Jeden Tag bedroht dich ein Politiker in seiner Rede, behauptet, dass es dich gar nicht gibt, bezeichnet dich als Bedrohung der Gesellschaft.“ Wenn es mit der bisherigen Regierung weitergehe, sei eine weitere Einschränkung von Rechten und Freiheiten vorprogrammiert.
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