Richtung Südland
So schnell kann’s gehen. Keine drei Jahre ist es her, dass der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über Südeuropäer gemeint hat, sie seien „in ihren Systemen kaputt“. Diese Woche warnte der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO, Gabriel Felbermayr, wenn es nicht gelinge, die Inflation in den Griff zu bekommen, gehe es uns Österreichern wie den „Südländern“ nach ihrem Beitritt zur Eurozone. Dort hätten Preissteigerungen die „bekannten, desaströsten Folgen“ gehabt.
„Man kann das alles verleugnen und den Fokus auf Deutschpflicht in Schulpausen oder ein schlichtes ,Weiter wie bisher‘ legen.“
Man kann das als Weckruf für eine Politik verstehen, die ausschließlich Umfragewerte und den nächsten Wahltag im Auge hat. Mit der Gießkanne ist sie gleich zu Beginn der Pandemie nach der Devise „Koste es, was es wolle“ vorgegangen und lange dabei geblieben. Dadurch hat sie die Teuerung verstärkt.
Man sollte Felbermayrs Warnung vor einem „Südland“-Schicksal jedoch umfassender sehen. Zumal es noch nicht zu spät ist und es um viel mehr geht als um die Inflation. Es ist das gefährdet, was Österreich ausmacht: Eine hohe Lebensqualität in Bezug auf die Umwelt sowie Wohlstand und Chancengleichheit nicht nur für ein paar, sondern für eine breite Masse.
Gefährdet ist all das auch aufgrund der Klimakrise und des demographischen Wandels, der zu einem Arbeitskräftemangel sowie Herausforderungen in der Pflege und bei den Pensionen führt. Gefährdet ist es, weil sich technologischer Wandel und Wettbewerb beschleunigen und es immer schwieriger wird, vorne dabeizubleiben oder eine Nische zu halten. Gefährdet ist es aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen, die Ungleichheit wachsen lassen: Es wird eher weniger selbstverständlich, dass es ein Kind aus einem Elternhaus mit bescheidenen Mitteln gleich weit bringen kann wie andere. Oder: Wer sich keinen Wahlarzt oder eine Zusatzversicherung leisten kann, muss sich im Gesundheitssystem zunehmend hinten anstellen. Oder: Wer kein Erbe gemacht und auch nicht im Lotto gewonnen hat, tut sich selbst mit einem ordentlichen Einkommen schwer, Eigentum zu erwerben. Zugespitzt formuliert: Mehr und mehr Menschen müssen feststellen, dass ihnen Leistung in dieser Hinsicht nichts mehr bringt.
Es gibt nun drei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Man resigniert. Das ist jedoch keine vernünftige Option. Oder man verleugnet das alles und legt den Fokus auf Deutschpflicht in Schulpausen oder ein schlichtes „Weiter wie bisher“; als würde man es sich in einer Scheinwelt auf Dauer komfortabel einrichten können. Umso schlimmer ist, dass Parteien zu dieser Option neigen, die selbst in der Krise sind und sich daher nichts mehr trauen; sowie Parteien, die einfach nur populistisch sein wollen und dafür sogar in Kauf nehmen, die Krise der Allgemeinheit zu vergrößern. Klar ist schließlich: Herausforderungen, die nicht angegangen werden, werden nicht kleiner. Im Gegenteil.
Auch das ist also keine vernünftige Lösung. Vernünftig erscheinen Menschen, die nüchtern schauen, was ist, und tun, was geht. Das Glück ist, dass das nicht wenige sind. Besonders unter Jungen, die noch 60, 70, 80 Jahre vor sich haben und sich kaum so lange selbst belügen können, sind es viele. Das macht Hoffnung: Es zwingt zumindest gemäßigte Parteien der Mitte, darauf zu reagieren, oder zu riskieren, dass neben ihnen neue Bewegungen entstehen, die sie Wählerstimmen kosten.
Vielleicht merken’s Bürgerliche und Sozialdemokraten ja doch noch: Genau das erklärt einen Teil ihrer Schwierigkeiten.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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