Türkei vor Stichwahl: Aufgeheizte Stimmung in Ankara

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Heftige gegenseitige Anschuldigungen.
Ankara, Wien Im Rennen um die Präsidentschaft in der Türkei hat sich eine Stichwahl abgezeichnet. Bei der Auszählung von rund 89 Prozent der Stimmen lag Präsident Recep Tayyip Erdogan bei rund 49,94 Prozent und damit unter der erforderlichen absoluten Mehrheit von 50 Prozent der Stimmen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntagabend berichtete. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, gemeinsamer Kandidat eines Sechser-Bündnisses, erreichte demnach 44,3 Prozent. Der Kandidat eines ultranationalistischen Parteienbündnisses, Sinan Ogan, lag laut Anadolu bei 5,3 Prozent. Die Nachrichtenagentur Anka berichtete, nach Auszählung von 76 Prozent der Wahlurnen habe Erdogan 48 Prozent auf sich vereinigt, Kilicdaroglu 46 Prozent. Sollte kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen, käme es am 28. Mai zu einer Stichwahl. Der Oberste Wahlrat erklärte, er werde den Parteien „unverzüglich“ Zahlen übermitteln. Sie würden aber vor Abschluss der Auszählung nicht veröffentlicht.
Manipulationsvorwürfe
Die Opposition beschuldigte Anadolu, die Ergebnisse zu manipulieren. Sie erklärte, Kilicdaroglu liege mit 47,42 Prozent knapp vor Erdogan mit 46,8 Prozent. Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu, der den Wahlkampf Kilicdaroglus unterstützte, erklärte, Wahlbeobachter der regierenden islamisch-konservativen AKP erhöben regelmäßig Einspruch gegen die Ergebnisse von Wahllokalen, in denen Kilicdaroglu in Führung liege.

Faik Öztrak, ein Sprecher von Kilicdaroglus sozialdemokratischer Partei CHP, mahnte, die ersten Ergebnisse seien vorläufig. Das Bild für die Opposition sei „extrem positiv“. „Wir liegen vorn“, twitterte Kilicdaroglu, der als Kandidat eines Bündnisses von sechs Parteien antrat.

Ömer Celik, ein Sprecher der AKP, warf der Opposition im Gegenzug einen Anschlag auf „den nationalen Willen“ vor, indem sie behaupte, die staatliche Nachrichtenagentur verzerre die Ergebnisse. Er bezeichnete die Angaben der Opposition als unverantwortlich.
„Unzuverlässige Information“
Der Politologe und Türkei-Experte Cengiz Günay hat in Hinblick auf die Berichterstattung über die Wahlen in der Türkei der offiziellen Nachrichtenagentur des Landes, der Anadolu Ajansi, bescheinigt, sich als unzuverlässig erwiesen zu haben. „Sie beginnen immer mit Erdogan-Stimmen in Pro-Erdogan-Wahlkreisen. Somit deuten erste Ergebnisse immer auf einen Sieg der Regierung hin“, twitterte der Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip) am Sonntag. „Die Idee besteht darin, die Teilnehmer zu demoralisieren und die Nachrichten in internationalen Medien zu prägen“, so Günay weiter. Nach Beginn der Berichterstattung hatten die offiziellen türkischen Medien wie Anadolu Ajansi Präsident Recep Tayyip Erdogan einen haushohen Sieg von fast 60 Prozent über seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu vorausgesagt.
Türkische Kulturgemeinde warnt
Auch die Türkische Kulturgemeinde Österreich (TKG) mahnt die Pressevertreter in der EU davor, die Meldungen der „staatlich gelenkten und kontrollierten türkischen Medienhäuser unreflektiert zu übernehmen“. Mit diesen Worten wandte sich die TKG Sonntagabend an die Medien in Hinblick auf die Berichterstattung über die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei.

Nach 20 Jahren an der Macht bewarb sich Erdogan um eine weitere fünfjährige Amtszeit als Präsident.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.