NGOs orten versuchte Einflussnahme auf Justiz, Van der Bellen kritisiert Regierung scharf

Dass die Spitze des Bundesverwaltungsgerichts immer noch nicht nachbesetzt ist, sorgt nicht nur in Justizkreisen sondern auch beim Staatsoberhaupt für Aufregung.
Wien Das größte Gericht Österreichs ist seit 1. Dezember ohne Führung. Damals ging Harald Perl, erster Präsident des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), in den Ruhestand. Bisher wurde er aber nicht nachbesetzt. Zwar fand ein Auswahlverfahren statt – aus dem laut, von offizieller Seite unbestätigten, VN-Informationen die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, als Bestgereihte hervorging –, noch hat die Bundesregierung aber keinen Ernennungsvorschlag an den Bundespräsidenten erstattet.
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Das kritisieren heute vier Nichtregierungsorganisationen, deren Themenbereiche in die Arbeit des Gerichts fallen, im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien. Der Tenor: Der Umgang der türkis-grünen Regierung mit der unabhängigen Justiz sei erschreckend. Denn Hintergrund der Nicht-Besetzung ist ein koalitionsinterner Streit um einen anderen Posten: Die Ernennung des aktuellen Vizepräsidenten des BVwG, Michael Sachs, zum neuen Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde blockieren die Grünen unter Berufung auf ein Gutachten, wonach Sachs nicht geeignet sei. Im Hintergrund führen sie außerdem Sachs’ Nähe zur ÖVP als Begründung an. Gleichzeitig stimmt die Volkspartei der Bestellung von Matejka nicht zu, ein Ausweg ist nicht in Sicht. Sachs leitet das Gericht aktuell interimistisch.

Das zuständige Beamtenministerium von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) übermittelte bereits im Februar einen Entwurf für einen Ministerratsvortrag über die Besetzung an den Koalitionspartner. Ein Pressesprecher von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), in dessen Büro die Koalitionskoordination angesiedelt ist, bestätigt nun erstmals, dass in dieser Angelegenheit Uneinigkeit zwischen den Regierungsparteien herrscht: „Alle Ministerratsvorträge brauchen Einstimmigkeit. Aktuell gibt es Besetzungen, wo die Koalition nicht einig ist – diese gehört dazu.“ Bisher war immer nur von einzelnen Abstimmungen in der Koordination die Rede. Warum die ÖVP aber den Vorschlag der Grünen nicht akzeptieren möchte, blieb unbeantwortet.
In Justizkreisen steht die Angelegenheit unter genauer Beobachtung, immer wieder steht auch ein Wechsel von Matejka auf eine andere Person des Dreiervorschlags im Raum, um die Blockade zu beenden. Doch sowohl Justizministerin Alma Zadić als auch ein Sprecher des Vizekanzlers mit einem Verweis auf Zadić betonten, dass die erstgereihte Person zum Zug kommen solle. Und auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte zuletzt, dass die Entscheidung von Kommissionen eigentlich „zur Kenntnis zu nehmen“ sei; im vorliegenden Fall war diese hochkarätig aus Justiz und Rechtswissenschaft besetzt.
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Parteipolitik über Staatsräson?
All das „vermittelt die Botschaft, dass politische Interessen der Regierungsparteien wichtiger sind als die Unabhängigkeit der Justiz“, findet Nicole Pinter von Amnesty International Austria deutliche Worte für die aktuelle Situation: „Es gibt seit Monaten eine Empfehlung einer Personalkommission, die sich auf ein objektives und nachvollziehbares Auswahlverfahren stützt. Trotzdem sind die Regierungsparteien anscheinend nicht fähig, diese Stelle nachzubesetzen.“ Und die Schwächung der Justiz könne zu Menschenrechtsverletzungen führen: „Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Regierung oder eine Regierungspartei versucht, auf die Justiz Einfluss zu nehmen und politische Interessen durchzusetzen.“
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Ähnlich äußert sich Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der Asylkoordination Österreich: „Es ist eine Respekt- und Verantwortungslosigkeit gegenüber der Personalkommission, die gesetzesgemäß die Vorarbeiten erledigt hat.“ Zentrale Aufgabe des BVwG sei die Kontrolle der österreichischen Verwaltung. Da gleiche das Vorgehen der Verwaltung – der Bundesregierung – einer „Respektlosigkeit gegenüber dem demokratischen Prozess“. Das Bundesverwaltungsgericht stehe zwar auf funktionierenden Strukturen, so Gahleitner-Gertz, Aufgabe des Präsidenten sei aber, eine funktionierende Verwaltung sicherzustellen: „Eine Zwischenlösung ist nicht akzeptabel. Das ist im gegenständlichen Fall nicht sachlich begründet.“
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“Gut beraten, rasch eine Entscheidung zu treffen”
Ähnlich deutlich äußert sich das Staatsoberhaupt über die Vorgehensweise der Koalition: “Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht den langen Zeitraum bei der Besetzung von Schlüsselstellen der Republik sehr kritisch. Im Fall des Bundesverwaltungsgerichts scheinen alle Voraussetzungen für eine rasche Besetzung gegeben”, teilt ein Sprecher des Staatsoberhaupts mit. Die “unabhängige Kommission unter dem Vorsitz von Höchstrichtern” habe eine “eindeutige Empfehlung an die Bundesregierung” abgegeben.
Der lange Zeitraum der Nichtbesetzung schade “dem Ansehen dieses wichtigen Amtes und trägt nicht zur Stärkung des Vertrauens in zentrale Institutionen in unserem Land bei”, so der Vertreter der Präsidentschaftskanzlei weiter: “Die Bundesregierung ist gut beraten, hier rasch eine Entscheidung zu treffen.”
Update um 15.45 Uhr: Statement aus der Präsidentschaftskanzlei eingebaut.