Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Was liegt, das pickt

Politik / 01.06.2023 • 18:30 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Justizirrtümer erregen besonders dann Aufmerksamkeit, wenn Menschen wegen einer Tat verurteilt wurden, bei der sich nach Jahren herausstellt, dass sie diese nicht begangen haben. Ein Justizirrtum anderer Art ist offenbar der Staatsanwaltschaft Wien passiert: Sie hat das Strafverfahren gegen jene Person, die dem Attentäter von Wien die Mordwaffe zugänglich gemacht hat, irrtümlich eingestellt. Die Angelegenheit kann nun nicht wieder aufgenommen werden, denn niemand darf wegen derselben Sache zweimal behördlich verfolgt werden. Und wessen Verfahren einmal eingestellt wurde, darf, sofern nicht nachträglich neue Tatsachen zum Vorschein kommen, nicht nochmals behelligt werden. Was liegt, das pickt, sagt man beim Jassen.

„Der Preis der zusätzlichen Kontrollschleifen wird sein, dass die Verfahren noch länger dauern werden.“

Die Öffentlichkeit ist verständlicherweise erbost, denn dass eine Straftat nur deshalb nicht verfolgt werden kann, weil ein formaler Fehler passiert ist, ist nicht leicht zu verstehen. Justizministerin Alma Zadic erklärte daher in einer ersten Stellungnahme, man werde den Fall disziplinär behandeln. Mit anderen Worten: Der Staatsanwalt oder die Staatsanwältin, welche den Irrtum zu verantworten hat, wird möglicherweise eine Art verbale Kopfnuss bekommen. Viel Schlimmeres wird bei einem bloßen Irrtum wohl nicht möglich sein, die disziplinären Folgen werden sich daher insgesamt in Grenzen halten.

Wahrscheinlich lässt das Justizministerium aus diesem Grund in einer weiteren Stellungnahme verlauten, man werde die „interne Fachaufsicht stärken“, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. Das ist der typische bürokratische Reflex auf jeden Fehler: Die Erledigungen der Bearbeiterinnen und Bearbeiter noch besser zu kontrollieren, um möglichst jeden gröberen Fehler zu vermeiden. Der Preis der zusätzlichen Kontrollschleifen wird sein, dass die Verfahren noch länger dauern werden.

Das Beispiel demonstriert, dass die Staatsanwaltschaften gerade deshalb nicht unabhängig sind, weil ihre Entscheidungen in vielen Fällen – im Gegensatz zu gerichtlichen Entscheidungen – nicht bekämpft werden können. Deshalb bedarf es auch einer „internen Fachaufsicht“. Fraglich ist allerdings, ob für diese Fachaufsicht, so wie das derzeit der Fall ist, in letzter Konsequenz die Justizministerin verantwortlich sein soll oder ob es nicht besser wäre, wenn an der Spitze der Staatsanwaltschaften ein unabhängiger Generalstaatsanwalt stünde. Das wäre wohl die sinnvollere Lösung. Leider gibt es von der Bundesregierung dazu bisher lediglich Absichtserklärungen, aber noch keine konkreten Pläne.

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.