Außenminister über Ukraine-Krieg: „Wie ein geostrategischer Eiskübel“

Schallenberg äußert sich zu Schengen, Neutralität und Staatsvertragsverhandlungen mit der Schweiz.
Das Interview führten Magdalena Raos und Mirijam Haller
Schwarzach Der Krieg in der Ukraine, drängende Asyl- und Migrationsfragen: Europa ist mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) nimmt im VN-Interview Stellung zur Rolle Österreichs. Das Schengen-Veto verteidigt er als Weckruf.
Mitten in Europa tobt noch immer ein Krieg. Wie blicken Sie momentan auf die Vorgänge in der Ukraine? Wie besorgniserregend ist die Lage?
Wir müssen damit rechnen, dass uns der Krieg leider Gottes noch längere Zeit begleiten wird. Die Handlungen der Russischen Föderation zeigen, dass sie kein Interesse an Frieden hat. In Wirklichkeit versucht sie, Fakten auf dem Schlachtfeld zu schaffen. Das sehen wir auch am jüngsten Schritt, der Aufkündigung des Getreide-Deals.
Vor kurzem hat das britische Magazin „Economist“ eine Rangliste der „nützlichsten Idioten“ von Kremlchef Wladimir Putin veröffentlicht. Österreich kommt nach Ungarn auf Platz zwei. Schmerzt Sie das?

Ja, weil es einfach falsch ist. Da werden alte Vorurteile neu aufgewärmt. Die Bundesregierung hat seit dem 24. Februar 2022 einen ganz klaren Kurs. Wir sind militärisch neutral, aber es gab nie eine Gesinnungs- oder Werteneutralität. Wenn ein Staat, noch dazu ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, beschließt, die Grundprinzipien des Völkerrechts und der UN-Charta mit Füßen zu treten, dann wird Österreich niemals schweigend an der Seite stehen. Solche Bewertungen entbehren jeglicher Grundlage. Zumal Österreich auch bei der humanitären Hilfe führend ist: Laut Kiel Institut für Weltwirtschaft sind wir da auf Platz 1.
Sehen Sie noch eine Chance für eine mögliche Vermittlerrolle Österreichs? Kanzler Karl Nehammer hat bei einem viel kritisierten Besuch bei Putin in Moskau einen Versuch unternommen. Das hat nicht funktioniert.
Wenn man eine Brücke bauen will, braucht es zwei stabile Ufer. Die gibt es momentan nicht. Auch andere Anläufe, zum Beispiel von afrikanischer Seite, hat der russische Präsident rüde in den Wind geschossen. Wir sind noch lange nicht so weit. Es darf jedenfalls keine Gespräche über die Ukraine ohne die Ukraine geben. Die größte Herausforderung für die Zukunft ist sicher: Es ist jegliche Vertrauensbasis mit Russland erodiert. Es wird keine Rückkehr zum Status quo ante geben können, nicht mit Wladimir Putin.

Österreich war früher für seine guten Beziehungen zu Russland bekannt. Sind da nicht große Fehler passiert?
Wir hatten gute Beziehungen, daher sitzt der Schock umso tiefer. Ähnlich war das in Deutschland. Man hatte die Hoffnung, rückblickend vielleicht naiv, dass sich Russland in eine andere Richtung entwickelt. Heute wissen wir, dass das teilweise Wunschdenken war. Der 24. Februar 2022 war wie ein geostrategischer Eiskübel, den man uns ins Gesicht geschüttet hat. Es hat uns aufgeweckt.
Österreich tritt dem europäischen Luftraumverteidigungssystem „Sky Shield“ bei. Wie verbessert das den Schutz des Landes? Die FPÖ sieht die Neutralität in Gefahr.
Wir sind immer dafür eingetreten, dass man sich besser koordiniert und abspricht, Informationen teilt und bei Beschaffungsvorgängen zusammenarbeitet. Das ist mit unserer Neutralität selbstverständlich vereinbar. Die FPÖ ist da hoffentlich mittlerweile eines Besseren belehrt worden, nachdem auch die neutrale Schweiz beigetreten ist. Das sollte den größten Skeptikern zeigen, dass es nicht um die Neutralität geht, sondern um eine sinnvolle Verstärkung der Luftraumsicherheit, auch für Österreich.

Auf europäischer Ebene hat Österreich mit seinem Veto gegen den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien sehr viel Kritik auf sich gezogen. Warum bleibt die Regierung immer noch dabei?
Die Entscheidung ist nicht gegen Bulgarien und Rumänien gerichtet. Wir haben klar darauf hingewiesen, dass das System dysfunktional ist. Vergangenes Jahr hatten wir die höchste Pro-Kopf-Anzahl an Asylanträgen in Kontinentaleuropa. Wir sind umgeben von Schengen-Staaten und den Schengen-assoziierten Staaten Schweiz und Liechtenstein. Wie kann es dann sein, dass wir die höchste Zahl an Anträgen haben und 75 Prozent der Menschen nicht registriert waren? Schengen ist wie ein Haus. Alle Parteien haben sich darauf geeinigt, die Wohnungstüren auszuhängen, um sich frei bewegen zu können, in der Annahme, dass die Haustür gesichert ist. Das ist aber nicht der Fall: Staaten hängen wieder ihre Wohnungstüren ein, verhängen also Grenzkontrollen. Von uns kam daher ein klarer Weckruf. Seitdem hat sich auf europäischer Ebene einiges bewegt.
Sollte der Druck daher nicht eher auf Länder wie Ungarn ausgeübt werden, statt auf Rumänien und Bulgarien, die nicht als primäre Migrationsrouten gelten?
Wir stehen in ständigem Austausch mit Ungarn. Diese Gespräche sind oft schwierig und hart. Ungarn hat die Dublin-Regeln ausgesetzt und wir können niemanden dorthin zurückführen. Österreich ist eigentlich der erste Staat auf der Balkanroute, der die Regeln eines Rechtsstaates einhält. Dafür dürfen wir aber nicht die Zeche bezahlen. Österreich steht hinter Schengen. Wir haben Brüssel klargemacht, dass es nicht so weitergehen kann. Unsere Entscheidung, die Notbremse zu ziehen, haben wir nicht aus Jux und Tollerei getroffen, das war eine notwendige Maßnahme.
Die Mehrheit der EU-Staaten hat sich auf Pläne für eine Reform des EU-Asylsystems verständigt. Bringt das eine Verbesserung?
Wir haben im EU-Rat zugestimmt. Bei der Reform geht es vor allem um die Finanzmittel für den Außengrenzschutz. Bislang haben wir die Staaten an den Außengrenzen mit dieser Aufgabe allein gelassen. Nun hat die Kommission endlich umgedacht und stellt finanzielle Unterstützung bereit. Das war Teil des Pakets. Allerdings ist es genauso wichtig zu betonen, dass zwei Staaten, Ungarn und Polen, am Ende nicht zugestimmt haben.
Die zwei Staaten haben sich gegen den Solidaritätsmechanismus ausgesprochen. Wird das denn ohne diesen funktionieren?
Der wesentliche Punkt ist, dass es keinen Zwang geben kann, Migranten aufzunehmen. Es sollten also keine verpflichtenden Quoten eingeführt werden. Allerdings sollten die Länder, die sich nicht direkt beteiligen, in anderer Weise Solidarität zeigen, beispielsweise durch finanzielle Beiträge. Ich sehe Raum für Kompromiss in dieser Angelegenheit. Wenn wir über Verteilung sprechen, dann muss auch klar sein, dass Österreich Lasten abgenommen werden.
Bei dem Hochwasserschutzprojekt Rhesi steht jetzt die Aufteilung der Kosten in Österreich fest. Wie steht es um die Staatsvertragsverhandlungen mit der Schweiz?
Das Thema begleitet uns schon lange, ich bin dazu auch immer wieder mit Landeshauptmann Markus Wallner in Kontakt. Gerade im Hinblick auf den Klimawandel ist es ein enorm wichtiges Vorhaben. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Herbst die Staatsvertragsverhandlungen abschließen können.