Liberales Dilemma

Viele Wetten auf das vorzeitige Ende von Türkis-Grün wurden seit Jänner 2020 schon verloren. Entgegen allen Erwartungen, Spekulationen, Widrigkeiten und Personalrochaden (drei Bundeskanzler, acht Ministerwechsel) scheint die Regierung nun doch bis Herbst nächsten Jahres durchzuhalten. Schlechte Umfragen einen Parteien und Koalitionen offensichtlich genauso wie gemeinsame Erfolge und gegenseitiges Vertrauen.
Inzwischen stehen die Chancen also gut, dass erst in rund einem Jahr der neue Nationalrat gewählt wird. Landeshauptmann Wallner will jedenfalls mit dem Wahltermin in Vorarlberg auf den Bund warten. Er wünscht sich keine Vermischung mit nationalen Themen. Fix ist nur, dass er selbst wieder antritt. Somit scheint im politischen Spekulationsgeschäft eines relativ gesichert: Den nächsten Sommer verbringen Landes- und Bundespolitiker nicht im Urlaub, sondern im Wahlkampf.
Eine gute Zeit, sich die Ausgangslage der Parteien anzuschauen. Beginnen wir mit der jüngsten und kleinsten Partei, den Neos. Im Landtag erreichten sie 2019 mit leichten Gewinnen 8,5 Prozent und drei Sitze. Nächstes Jahr wollen sie dieses Ergebnis mit einer prominenten Rückkehrerin übertreffen. Claudia Gamon hat wertvolle politische Erfahrung in Wien und Brüssel gesammelt. Nun gilt es im Ländle mehr Bodenhaftung zu erarbeiten und als zukünftige Regionalpolitikerin bekannter zu werden.
Im Bund hingegen setzen die Neos auf ihre bewährte Spitze. Beate Meinl-Reisinger hat ihre Ansage der „Opposition mit konstruktiver Härte“ über die letzten Jahre leidenschaftlich verfolgt. Die Partei ist hinter ihr geeint mit einem kompetenten Team, das Korruptionsskandale thematisiert statt selbst zu liefern. Und dennoch müssen die Neos fürchten, im Kampf um Platz 1 zwischen ÖVP, SPÖ und FPÖ zerrieben zu werden.
„Den nächsten Sommer verbringen Landes- und Bundespolitiker nicht im Urlaub, sondern im Wahlkampf.“
Opposition funktioniert in unsicheren Zeiten wohl nur fundamental. Die liberalen Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung im Bund hingegen scheitern an Inhalten, obwohl die Neos das perfekte Zünglein an der Waage zwischen einem Mitte-Rechts-Block von ÖVP und FPÖ oder einem Mitte-Links-Bündnis zwischen SPÖ und Grünen bilden. Ihre politische Ausrichtung lässt beides zu. Wirtschaftspolitisch (neo)liberal und damit rechts der Mitte, ist jedoch ein Bündnis mit der FPÖ auch ohne Herbert Kickl ausgeschlossen. Gesellschaftspolitisch definitiv liberal, also eher rot-grün- kompatibel, scheitert eine Zusammenarbeit an den geforderten Vermögenssteuern der SPÖ.
Bleibt eine Chance, in Vorarlberg als Juniorpartner an die Stelle der Grünen zu rücken. Das liegt allerdings weniger in der Hand der Liberalen, sondern vielmehr am möglichen Koalitionspartner. Die ÖVP muss diesen Wechsel nicht nur wollen, sondern vor allem ihr Wahlergebnis von 2019 halten.
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.